Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
auf einer Ecke von Dragon Lankfords großem Eichenschreibtisch Platz und deutete auf die Kristallvase. »Ich beschütze das Anmutige und Schöne.«
Kalona schnaubte. »Du vergleichst Nyx mit einer Vase? Ich weiß nicht, ob die Göttin das zu schätzen wüsste.«
»Und doch ist es ein guter Vergleich. Die Vase ist anmutig und schön, und du hast sie achtlos behandelt. Wäre ich nicht eingesprungen, wäre sie zerbrochen.«
»Nyx war nie gebrochen. Das war ich.«
»Ich muss mich berichtigen. Die Göttin mit einer Vase zu vergleichen ist töricht. Nyx würde niemals so leicht brechen, vor allem weil ich sie auf ewig beschützen werde.«
»Du? Die Göttin beschützen?« Kalonas humorloses Lachen erfüllte den Raum mit der Kälte winterlichen Mondlichts, und Erebos’ sommerlicher Glanz verblasste kaum merklich. »Bruder, was du auf ewig tun wirst, ist nicht, sie zu beschützen. Ich war derjenige von uns, der in der Lage war, zweierlei Pflichten an der Göttin zu erfüllen.«
»Liebe ist keine Pflicht«, sagte Erebos.
»Nicht? Ich maße mir nicht an, mehr über die Liebe zu wissen als du, aber eines weiß ich, nämlich dass es manchmal die Pflicht eines Liebenden ist, sie am Leben zu erhalten und nicht erlöschen zu lassen.«
»Kein Wunder, dass du sie nicht halten konntest. Eine Göttin zu lieben sollte niemals eine Pflicht sein, egal in welche rhetorischen Kniffe du das Wort einbettest.«
Kalona lächelte. »Du warst es, der sie nicht halten konnte. Hättest du Nyx so vollends befriedigen können, warum hat sie sich dann mir zugewandt?«
Erebos’ Glanz dämpfte sich noch mehr. »Und doch ist dieses gläserne Abbild von ihr nun alles, was dir bleibt.«
»Trotzdem lässt du mich nicht in Ruhe. Warum, Bruder? Hast du Angst, sie könnte sich mir wieder zuwenden?«
Erebos ließ seine Hand auf den Tisch sausen, und im Eichenholz blieb das Brandmal seiner Handfläche zurück. Kalona zuckte weder zusammen, noch wich er vor seinem Bruder zurück, obwohl der Anblick, wie diesen die Glut seiner Mutter umloderte, in Kalonas mondleuchtenden Augen brannte.
»Ich bin nur hier, weil du wieder einmal einen schrecklichen Fehler begangen hast.«
Kalona lehnte sich zurück und kreuzte die Arme über der Brust. »Ich streite nicht ab, dass ich viele Fehler begangen habe. Im Unterschied zu dir habe ich nie behauptet, perfekt zu sein. Über welchen in der langen Reihe meiner Fehler möchtest du mit mir sprechen?«
»Deine Fehler sind in der Tat Legion. Die Liste deiner Untaten gegen die Menschheit, die Vampyre und die Göttin ist lang. Doch ich habe weder die Zeit noch den Wunsch, sie alle aufzuzählen. Ich bin hier, weil du es zugelassen hast, dass eine verirrte Hohepriesterin der Nyx sich der Finsternis zuwandte und zum Werkzeug des Bösen wurde. Und nun ist diese geisteskranke Priesterin unsterblich und unsagbar gefährlich.«
»Neferet fühlte sich schon zur Finsternis hingezogen, lange bevor sie von mir auch nur ahnte.«
»Neferet war ein vom Schicksal gebeuteltes Mädchen, das zu einer unglücklichen Jungvampyrin wurde. Deine Einflüsterungen lockten sie in diese Gefilde, stärkten ihre Sucht nach Kontrolle und Macht und führten letztendlich dazu, dass sie die Unsterblichkeit erlangte und in den Wahnsinn abglitt.«
»Du irrst dich. Du weißt nichts über Neferet. Die Priesterin war schon verbittert und wahnsinnig, bevor sie auf meine Einflüsterungen zu hören begann.«
»Ich weiß nur, dass Neferet der Göttin großen Schmerz bereitet hat, also muss sie aufgehalten werden.«
Wieder lachte Kalona. »Und damit beweist du endgültig, wie wenig du über Neferet weißt. Sie hat sich dem Chaos verschrieben, und davon kann sie nicht einmal der Tod abbringen.«
»Du aber wirst sie davon abbringen.«
»Du Narr. Vor einer Woche hat das Gefäß Aurox in seiner vollen Bestiengestalt sie mit den Hörnern durchbohrt und vom Dach eines Gebäudes gestoßen, das so hoch wie eine Bergspitze ist. Schon vorige Nacht hatte Neferet ihre körperliche Form so weit zurückerlangt, dass sie hier Gestalt annehmen, eine Jungvampyrin in den Tod treiben und einen erwachsenen Menschen ermorden konnte. Dann verschwand sie wieder. Sie ist unsterblich. Sie kann nicht getötet werden.«
»Nichtsdestotrotz muss etwas gegen sie unternommen werden. Du hast ihr die Tür zur Unsterblichkeit geöffnet – du wirst sie auch wieder schließen.«
Kalona schüttelte den Kopf und sammelte kaltes Mondlicht um sich. »Du glaubst, mir Befehle geben zu
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