Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
bisher zu Wort kam, ist die von Mrs. LaFont. Und so leid mir ihr Verlust tut, ich bin Journalistin, und als solche bin ich bestrebt, immer alle Seiten zu zeigen.«
»Sie werden hier weder Dramatisches noch Geheimnisvolles finden, ganz zu schweigen von einem Mörder, den wir verstecken, Miss Kimiko. Hier gibt es nur Schüler und Lehrer, die heute wegen der tragischen Ereignisse der letzten Nacht einen Tag frei bekommen haben.«
»Bitte sehen Sie in mir keine Gegnerin, Thanatos«, sagte Chera ernst. »Erlauben Sie mir, die andere Seite der Geschichte zu erzählen und zu dokumentieren, wie Ihre Schüler hier ihren alltäglichen Tätigkeiten nachgehen. Erlauben Sie mir, Tulsa darüber aufzuklären, wer Sie sind. Ich war schon immer der Ansicht, dass vor allem Unwissen Furcht und Hass erzeugt.« Unbeirrt hielt sie Thanatos’ Blick stand. »Wenn unsere Stadt nichts vom House of Night zu befürchten hat, dann erlauben Sie meiner Kamera, das auch zu zeigen. Schenken Sie Tulsa ein paar Einblicke – und Einsichten.«
»Ihre Absichten erscheinen mir ehrlich, Miss Kimiko, aber wie ich schon sagte, unsere Schüler gehen heute nicht ihren alltäglichen Tätigkeiten nach.«
Damien hob die Hand. »Entschuldigen Sie, Thanatos?«
»Ja, Damien?«
»Die meisten Schüler sind noch in der Mensa beim Frühstück. Das ist schon alltäglich.«
»Das würde ich liebend gerne filmen!«, sagte Chera.
»Na gut. Dann führe Miss Kimiko in die Mensa, Damien. Ich werde mitkommen, mich aber im Hintergrund halten, damit die Szene authentisch bleibt.«
»Oooh! Phantastisch!«, schwärmte Damien.
Chera lächelte ihm zu. »Genau meine Meinung.«
»Miss Kimiko«, sagte Thanatos. »Sie werden nur in der Mensa filmen. Mehr Einmischung von außen erscheint mir heute nicht ratsam.«
»Ich verstehe und freue mich, dass Sie mir zumindest diese Gelegenheit bieten können.«
Thanatos nickte. »Dann kommen Sie mit in die Mensa. Zoey, Stark, Darius, ihr könnt gehen.«
Erleichtert, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr auf uns lag, nickte ich Thanatos zu, und wir drei eilten nach draußen. Einen Moment lang fühlte ich Cheras neugierigen Blick auf uns ruhen.
»Was meint ihr – gibt es so etwas wie gute Publicity?«, fragte Darius.
»Nein«, sagten Stark und ich wie aus einem Mund.
Kalona
Der Tod des Menschenmannes erzürnte den geflügelten Unsterblichen zutiefst. Nicht dass es ihm leidgetan hätte, dass der Mensch sein Leben verloren hatte – nach allem, was Kalona über ihn erfahren hatte, war der Bürgermeister eine schwache, einfältige, nutzlose Kreatur gewesen. Was Kalona mit Groll erfüllte, war die Tatsache, dass es unter seiner Aufsicht als Krieger der Hohepriesterin des Todes geschehen war.
Und nicht weniger wütend war Kalona darüber, dass Neferet so offensichtlich die Täterin war. Mit einem verärgerten Grunzen lehnte er sich in dem breiten Ledersessel zurück und warf mit einem Dolch auf die mit Kerben durchsetzte Zielscheibe, die Dragon Lankfords Schreibtisch gegenüberhing. Die Klinge bohrte sich genau ins blutfarbene Zentrum.
»Ich hätte wachsamer sein müssen. Ich hätte ahnen müssen, dass die Tsi Sgili einen Weg finden würde, wieder körperliche Gestalt anzunehmen und rachedurstig zurückzukehren.« Während er sprach, warf er ein zweites Messer. Es blieb dicht neben dem ersten stecken. »Aber statt zu wachen,
versteckte
ich mich« – er sprach das Wort aus, als schmeckte es widerwärtig –, »um die Menschen nicht zu erschrecken.« Seinem Lachen fehlte jeglicher Humor. »Ah, anstatt sich vor mir zu erschrecken, durften sie zwei reizende kleine Todesfälle mit ansehen.« Kalona griff nach einem weiteren Dolch. Dabei streifte seine Hand eine zarte, handgeblasene gläserne Sonnenblume in einer hohen Kristallvase, in die das Abbild der Nyx eingeschliffen war, in typischer Pose mit erhobenen Armen, den Mond zwischen den Händen. Die Vase schwankte, geriet aus dem Gleichgewicht und fiel dem Steinboden entgegen.
In diesem Moment gleißte ein Lichtblitz auf, hell wie die Morgensonne. Die Zeit stand still. Dicht über dem erbarmungslosen Stein erstarrten Vase und Blume im Fall.
Aus der Lichtsphäre streckte sich eine Hand in der Farbe polierten Goldes, pickte zuerst die Blume, dann die mit der Göttin verzierte Vase aus der Luft und stellte beides zurück auf den Tisch.
»Du hast zu wenig zu tun, Bruder«, sagte Kalona beißend.
»Ich habe mehr als genug zu tun.« Aus der Lichtkugel trat Erebos. Unbekümmert nahm er
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