Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
leise.
»Komischer? Also, schon länger?«
»Ja. Ich hab sie noch in den Tunneln darauf angesprochen. Da hatte ich bemerkt, dass ihre Farben trüber wurden und irgendwie verschwammen, und ich sagte ihr, dass es auf mich wirkte, als sei sie wegen irgendwas verwirrt.«
»Und weiter?«
»Sie meinte, sie sei soweit okay, und es gehe keinen was an, was ich an ihr sehe.«
»Ja, ich kann irgendwie verstehen, warum.«
»Und jetzt hab ich es doch erzählt und hab ein schlechtes Gewissen.«
»Ich werde es niemandem weitererzählen – nicht einmal Zoey. Shaylin, sind ihre Farben immer noch trübe?«
»Ja, sie wirbeln durcheinander, wie wenn sich ein Strudel bildet, oder der Zipfel eines Tornados.«
»Und was zur Hölle bedeutet das?«
»Wut. Frust. Verwirrung. Also, nichts Gutes. Ein Beispiel: Dallas’ Farben wirbeln immer.«
»Shit! Wirbeln die von Zoey auch immer?«
»Nein, das hat erst vor kurzem angefangen, und es hält nie lange an. Als sie zur Trauerfeier kam, wirbelten sie, aber während Thanatos’ Predigt wurden sie wieder ruhig und klarer. Als Shaunee den Scheiterhaufen in Flammen aufgehen ließ, waren sie wieder ganz normal lila mit silbernen Flecken darin. Sorry, ich weiß, es hört sich total konfus an.«
»Nein, eigentlich beschreibst du es ganz gut.« Als Shaylin sie verblüfft anstarrte, fügte Aphrodite hinzu: »Ich sage doch, es ist Aphrodite, Prophetin der Nyx, die zu dir spricht.«
»Dritte Person. Grausen.«
»Gewöhn dich dran. Also, die Prophetin möchte dich um Folgendes bitten: Beobachte Zoey weiterhin genau und sag mir Bescheid, sobald sie zu wirbeln anfängt.«
»Sofort und auf der Stelle?«
»Ja, du dumme Nuss. Sofort und auf der Stelle.«
»Jetzt klingst du deutlich mehr wie Aphrodite als wie die Prophetin.«
»Das kommt davon, dass wir in geistiger Verschmelzung existieren. Tu, was ich sage.«
»Du bist total schräg.«
»Normal wird überbewertet. Sind wir im Geschäft?«
»Versprichst du mir, niemandem außer Zoey und Nyx weiterzugeben, was ich dir sagen werde?«
Aphrodite zögerte, dann nickte sie. »Versprochen. Ich schwöre es. Ich würde nie über Zoey tratschen.«
Shaylin musterte sie genau. »Ich glaube dir. Euch beiden.«
Elf
Aurox
A urox fragte sich, ob man sich je an Trauerfeiern gewöhnen konnte. Wäre es leichter, wenn er schon ein jahrzehntelanges Leben hinter sich hätte? Oder wenn er Freunde hätte, mit denen er darüber reden könnte?
Ziellos schlenderte er davon. Niemand sagte etwas zu ihm. Niemand nahm Notiz von ihm. Aber Aurox nahm alles und jeden wahr.
Shaunee stand noch immer still weinend neben dem brennenden Scheiterhaufen, doch das Feuer trocknete ihre Tränen fast sofort. Thanatos war so nahe zu ihr getreten, wie es ihr möglich war. Auch der geflügelte Unsterbliche stand noch da, statuengleich im Schatten, sein Blick suchte die Umgebung des Scheiterhaufens ab, als erwartete er, dass sich aus der Asche der Jungvampyrin jeden Moment ein Feind erhob.
Schnell und lautlos huschte Aurox weiter, darauf bedacht, außerhalb von Kalonas Sichtbereich zu bleiben. Er wusste nicht, was er von dem Unsterblichen halten sollte. War er Freund, Feind oder einfach ein Gott, der nur beabsichtigte, sie zu beobachten und insgeheim über sie zu lachen?
In den Schatten stieß Aurox auf Rephaim, der Stevie Rae tröstete. Er neidete den beiden ihre Nähe – vor allem die Art, wie Stevie Rae Rephaim so völlig akzeptierte, ohne zu zögern oder zu urteilen.
Auch Dallas bemerkte er. Der junge rote Vampyr wirkte unglücklich, voller Zorn und Neid. Es gefiel Aurox nicht, wie er Stevie Rae anstarrte und dabei vor sich hin murmelte. Vielleicht sollte er das Thanatos sagen – aber die Hohepriesterin schien sich, wie der Rest des House of Night, durchaus im Klaren darüber zu sein, wie groß die Bereitschaft von Dallas zu Übeltaten war.
Er sah Aphrodite davonflitzen und nach Shaylin rufen. Nun, dass die beiden Prophetinnen sich austauschten, vor allem in solch bitteren Zeiten, war nur natürlich.
Er hätte einfach weitergehen sollen. Hätte in der Nacht verschwinden und warten sollen, bis Stevie Raes rote Jungvampyre sich für den Tag in ihre neue Zuflucht im Keller zurückgezogen hatten. Dann hätte er wiederauftauchen und seine Wacht antreten sollen. Um sie zu beschützen. Um schweigend und mit wachen Sinnen einzig bestrebt zu sein, diesem Haus zu dienen, und nicht nur ihm, sondern der Göttin Nyx.
Doch wie immer zog Zoey seine Aufmerksamkeit auf sich. Aurox
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