Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
dem Grundbucheintrag der Schule. Er wusste es, weil seine Füße ihn schon jeden einzelnen Meter in ihrem Schatten entlanggetragen hatten, nicht nur ein, sondern viele Male, in wildem Lauf, immer rund um das Schulgelände herum, bis alles wie weggeblasen war bis auf das Ringen nach Atem, das Pochen seines Herzens, die Hitze, die seinen Körper durchströmte – und der Krieg in seinem Innern endlich zur Ruhe kam.
Also rannte Aurox.
In regelmäßigen Abständen ragten weit oben stählerne Arme aus der Mauer, an denen Scheinwerfer angebracht waren. Es waren die einzigen elektrischen Lichter, die das House of Night besaß, und sie waren nach außen gerichtet, um Menschen zu blenden, die möglicherweise versuchten, in das gasbeleuchtete, verschattete Schulgelände hineinzuspähen. Diese Scheinwerfer schufen am Fuß der Mauer jenen schattigen Bereich, in dem Aurox ungesehen rennen konnte, schneller, als jeder Mensch oder Vampyr es vermochte.
In der vergangenen Nacht, nachdem die Jungvampyrin und der Mensch zu Tode gekommen waren, hatte er zehn Runden um die Schule gebraucht, um zur Ruhe zu kommen. In der heutigen Nacht, das ahnte er, würden es noch einige mehr sein.
Tief und regelmäßig atmend, mit angewinkelten Armen, trieb Aurox seinen Körper unbarmherzig an. Mit der linken Schulter schrammte er am Stein entlang, als er die erste Biegung um den nordwestlichen Teil des Geländes nahm.
Er bemerkte das eiserne Fass nicht. Auch die Menschen sah er nicht. Er prallte mit Mensch und Metall zusammen, stürzte Hals über Kopf zu Boden und überschlug sich ein paarmal, ehe er seinen Schwung bremsen konnte.
»Fuck! Ein Blutsauger!«, rief eine Männerstimme.
»Wir haben nichts gesehen!«, schrie eine zweite.
Wie betäubt rappelte sich Aurox auf und wandte sich der Gefahr zu. Schon griff sein Geist nach der Furcht der beiden Männer, bereit, die Emotion in sich einzusaugen und sich mittels ihrer Energie in das Wesen zu verwandeln, das sich ihnen im Kampf stellen und das House of Night beschützen würde.
Es waren zwei männliche Jugendliche, die vor Aurox zurückgetaumelt waren. Sie hielten rote Plastikbecher in der Hand, in denen sich eine Flüssigkeit befunden hatte, bevor Aurox mit ihnen zusammengestoßen war. Gemeinsam packten sie jetzt das kleine Metallfass und versuchten, es mit sich zu zerren, als sie vor ihm zurückwichen.
»Hey, das ist gar kein Scheißvampyr«, sagte der eine der Jungen.
Der andere musterte mit zusammengekniffenen Augen Aurox’ un-Gezeichnete Stirn. »Mann, stimmt, Zack.«
Sie ließen ihr Fass los. »Scheiße, Mann, wegen dir haben wir unser Bier verschüttet. Und fast wären wir ohne das Fass geflüchtet.«
»Ja, hättest mal besser aufpassen sollen.« Der andere Junge schüttelte den Kopf und versuchte, die Flüssigkeit wegzureiben, die ihm vorn übers Hemd gelaufen war. Dann hielt er inne. »Warte mal – warum rennst ’n du wie ’n Verrückter? Hat dich ’n Vampyr gejagt?«
»Mich? Nein«, sagte Aurox.
»Und wieso düst du dann wie gestört durch die Gegend?«
»Weil ich es wollte«, antwortete Aurox wahrheitsgemäß.
»Nächstes Mal schaust du, wohin du rennst, du Penner.«
Völlig verwirrt fragte Aurox: »Was macht ihr hier?«
»Dasselbe wie du, Mann. Versuchen, ’nen Blick auf welche von den Vampyrschnecken zu kriegen.«
»Vampyrschnecken?«
Der erste Junge seufzte. »Hör zu, wir zeigen’s dir, aber nur, wenn du das Maul hältst.«
»Vampyrschnecken«, wiederholte Aurox, unschlüssig, ob er ihnen den Schädel einschlagen oder lachen sollte.
»Zeig’s ihm schon, Jason. Der ist ja keiner von denen. Und wenn er’s rumerzählt, ist der Spaß für ihn auch vorbei.«
Jason zuckte mit den Schultern. »Okay, aber keinen Mucks.«
»Ich sage keinen Mucks«, sagte Aurox.
»Gut. Dann schau mal.« Jason winkte ihm, mit an die Mauer zu kommen. Dann stoppte er und zeigte auf das Fass. »Bring das mit. Ohne das hat’s keinen Sinn, es ist zu hoch.«
Aurox hob das Fass auf und trug es zu Jason an die Mauer.
»Scheiße, Mann, bist du stark. Das Mistding wiegt ’ne Tonne«, sagte Jason bewundernd und rollte es direkt an die Mauer. Vorsichtig stellte er sich darauf, wobei er sich mit den Fingern in Mauerritzen festkrallte. »Genau hier. Da kannst du reinsehen.« Der Junge presste das Gesicht gegen die Mauer. »Verdammt dunkel da drin, aber manchmal, meistens ungefähr um diese Uhrzeit, kriegt man Vampyre zu sehen. Und egal wie kalt es ist, die haben nie viel an. Ich hab schon
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