Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
T-Shirts nach und begann das Tattoo nachzuzeichnen, das sich über die aufgeworfene Narbe erstreckte, die mir von einer Schulter zur anderen reichte.
»Das hier hätte dich fast getötet«, flüsterte er.
»Fast.« Ich sagte es ganz atemlos, als müsste ich gleichzeitig rennen und sprechen.
Ohne seine Fingerspitze von meiner Haut zu nehmen, suchte er meinen Blick. »Du bist eine Prägung mit Heath eingegangen, und er hat dich gerettet. Deshalb hast du das hier überlebt.«
»Ja.«
»Du hast Blut von ihm getrunken.«
Zu sprechen war zu schwer, also nickte ich nur.
»Trink doch von meinem Blut, Zo.«
»Heath, äh Aurox«, stotterte ich. »Das geht nicht. Es würde Stark verletzen, und –«
Mir blieben die Worte weg, als er das Messer vom Tisch nahm und sich damit in die Fingerspitze piekte, mit der er meine Brust berührt hatte. Ein einziger Blutstropfen quoll heraus, und der Duft überrollte mich wie eine Welle. Nicht menschlich. Nicht wie bei einem Jungvampyr oder Vampyr. Einfach nur absolut magisch.
Ich leckte seine Fingerspitze ab.
»Zo«, stöhnte er leise.
Der Geschmack traf mich wie eine Bombe. Meine Hände schlossen sich um seine Hand, packten zu, wollten nie wieder loslassen. Mit geschlossenen Augen zog ich seinen Finger zwischen die Lippen. Er beugte sich vor, lehnte seinen Kopf gegen meinen.
Da klingelte es zum Ende der dritten Stunde – Mittagspause. Ich riss die Augen auf und begriff, was ich gerade getan hatte.
Ich schob seine Hand weg und schüttelte den Kopf. »Nein! Nein, das geht nicht, Aurox.«
Er atmete so schwer wie ich. »Ich werd’s niemandem sagen. Ich würde dich nie verraten.«
Ich hätte weinen mögen. »Wenn ich dir wirklich etwas bedeute, dann geh einfach. Bitte.«
Er nickte, wickelte sich eine Serviette um den blutenden Finger und stürzte nach draußen.
Ich trank ein ganzes Glas Cola in einem Zug. Ich wischte mir den Mund ab. Ich strich mein T-Shirt glatt. Ich nahm ein dreieckiges Stück Käsetoast und zwang mich, es zu essen. Und als meine Freunde sich an den Tisch drängten, lächelte ich und unterhielt mich mit ihnen und ließ zu, dass Stark besitzergreifend den Arm um mich legte.
Niemand wusste, dass ich innerlich einfach nur schrie.
Niemand.
Achtzehn
Neferet
N eferets Augäpfel bewegten sich unter geschlossenen Lidern. Das zwanzigste Jahrhundert zog an ihr vorbei. Für eine Zeit, in der sie schlussendlich solche Macht erlangt und den Keim für ihre Unsterblichkeit gelegt hatte, war es im Grunde schrecklich langweilig gewesen.
Bis auf zwei Ausnahmen: ihre Träume und die alte Frau. Ersteres hatte sich als einzige Täuschung erwiesen und das Zweite auf verblüffende Weise als mehr als die Wahrheit. Welche Ironie, dass es vergnüglicher war, ihre Träume wieder zu besuchen.
Als Neferet ins Tower Grove House of Night zurückgekehrt war, hatte die Schule sie mit Mitgefühl und Sorge um ihr Wohlergehen überhäuft. Zu nahe beieinander lagen der Tod ihrer ersten vertrauten Katze Chloe und der ihres Kriegers. Alle zeigten Verständnis, dass Neferet sich von gesellschaftlichen Ereignissen fernhielt und ungewöhnlich viel Zeit in Meditation und Gebet verbrachte.
Niemand ahnte, dass Neferets ›Gebete‹ aus einem tiefen drogeninduzierten Schlaf bestanden, mit dem sie hoffte, den Gott anzulocken, der sich ihr nur nahte, wenn ihr Bewusstsein sich gelöst hatte.
Kalona hatte es klug angestellt. So überwältigend sein Anblick war, in ihren Träumen erschien er ihr als gesichtsloser Gott, der sie nur bat, ihm ihre Vorlieben anzuvertrauen und ihm zu erlauben, ihr zu huldigen.
Es war überhaupt nicht gewesen wie zu träumen. Erst später – als es schon viel zu spät war – erkannte Neferet, dass sie in der Tat nicht geträumt hatte, dass Kalona in ihr Unterbewusstsein eingedrungen war und sie manipuliert hatte. Damals hatte sie nichts begriffen, außer welche Lust die Berührung des Unsterblichen in ihr aufflammen ließ.
Sie hatte sich ihm immer weiter geöffnet, und während ihr Unterbewusstsein seinen Einflüsterungen lauschte, wuchs ihre Macht. Sie begann das moderne Leben in Frage zu stellen, das die Vampyre in ihrer Umgebung lebten. Und schließlich begann sie zu glauben, es sei ihre Bestimmung, einen Gott aus seiner unverdienten Gefangenschaft zu befreien, um gemeinsam mit ihm die Welt zu beherrschen – Nyx und Erebos, Seite an Seite. Gemeinsam würden sie ein neues Zeitalter einleiten, in dem die Vampyre sich nicht mehr damit abfinden würden, einen
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