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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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als wäre es hart für ihn, in meiner Nähe zu sein. So empfinden viele Leute, wenn es um mich geht, allerdings meistens aus anderen Gründen.
      Ohne jedes Triumphgefühl ging ich hinaus in den Frühlings-Sonnenschein und steuerte den Stall an.
      ***
     
      Und jetzt kommt etwas, das schwer zu glauben ist: Ich beschloss, schon wieder zu meditieren. Ich hoffte nur, dass mich Ottavio diesmal nicht mit seinen Haiaugen anstarren würde. Aber wohin sollte ich gehen ...
      Sechs Pferde in einem Stall mit zehn Boxen bedeutete, dass vier Boxen leer standen. In einer hockte das Teufelshuhn - wir schauten jeden Tag hinein, ob seine Teufelsküken schon geschlüpft waren, aber bis jetzt war nichts passiert. River vermutete bereits, dass die Eier abgestorben waren, als es auch die anderen Hühner dahingerafft hatte.
      Molly, Dufa, Henrik und der Corgi Jasper hatten sich in einer weiteren Box eingenistet und schliefen im Heu. In der benachbarten Box waren die Geräte untergebracht, Forken, Schubkarren und die breiten Besen für die Stallgasse.
      Damit blieb eine Box übrig. Ich wollte nicht auf den Heuboden steigen; neben all den emotionalen Kurzschlüssen, die mein Gehirn schon beim Gedanken daran bekam, fürchtete ich, dass eine Meditation dort oben enden könnte wie ein schlechter Drogentrip. Ich wollte nicht sechs Meter hoch sein und womöglich auf die Idee kommen, ich könnte fliegen.
      Da eine brennende Kerze und ein Pferdestall voller Heu keine gute Kombination waren, hatte ich mir einen Amethystbrocken mitgebracht, auf den ich mich konzentrieren wollte. Das Amulett meiner Mutter - mein Amulett - lag warm unter meinem Pullover. Ich zog die Schiebetür der Box fast zu und setzte mich in eine Ecke, damit ich nicht sofort entdeckt wurde, wenn jemand vorbeikam. Dank eines Haufen Heus musste ich ausnahmsweise nicht mit dem Hintern auf dem eiskalten Boden sitzen. Ich rutschte ein wenig hin und her, bis ich es bequem hatte, und legte den Amethyst vor mir auf einen von der Sonne beschienenen Fleck. Er glitzerte purpurn, als würde er von innen beleuchtet. Ich richtete meinen Blick darauf und ermahnte mich immer wieder, mich zu konzentrieren und mich nicht von dem stachligen Heu unter meinen Beinen ablenken zu lassen. Ich atmete langsam ein und aus und vertrieb die Gedanken aus meinem Kopf wie lästige Fliegen. Irgendwann tauchte eine der Stallkatzen auf und beschnupperte mich. Sie stieg auf meine Beine und ihre Schnurrhaare kamen meinem Gesicht so nah, dass ich beinahe niesen musste. Aber ich atmete weiter ein und aus und kurz darauf ging die Katze wieder.
      Die Minuten vergingen, und je länger ich auf den Amethystbrocken starrte, desto mehr begann er auszusehen wie ein Foto des Universums - eine gigantische, tief purpurne Ebene, gespickt mit kleinen Lichtpunkten, die auch schon vor Millionen Jahren existiert hatten.
      Zeig mir, was ich sehen muss, dachte ich. In dieser Weltall-Landschaft war ich ein unbedeutendes Pünktchen. Mein unnatürlich langes Leben auf dieser Erde bedeutete nur, dass ich ein Stern war, der für ein Hundertstel einer Sekunde leuchtete anstatt für ein Tausendstel wie bei anderen Leuten.
      Und da war er: Sirius, der Hundsstern. Der hellste Stern am Himmel, der Hauptstern vom Großen Hund. Es war interessant, aber auch unerklärlich, wieso die acht Unsterblichen-Häuser der Welt plötzlich so eng mit diesem Sternbild verbunden waren.
      Ich verlor mich im Himmel, schwebte zwischen den Lichtpunkten herum, war mir aber zugleich vage bewusst, dass ich hier im Stall saß, mit gekreuzten Beinen, jeder Muskel entspannt. Während ich die kalten, weit entfernten Sterne betrachtete, schien sich der Himmel langsam zu verändern. Jetzt schaute ich aus gewaltiger Entfernung auf die Welt hinunter. Ein frischer Wind ließ mir die Haare ums Gesicht wehen. Ich schwebte, bewegte mich aber mit jeder Sekunde näher auf die Erde zu. Aus dem Sternbild wurde ein rundes 3D-Modell der Erdoberfläche und die Welt wirbelte im Kreis herum, um mir die Lage der acht Häuser zu zeigen.
      Was hatte das zu bedeuten?
      Ich sauste auf die Erde zu, doch ich verspürte keine Angst, nur eine Art neugieriges Staunen. Unter mir drehte sich die Welt um ihre Achse, sodass Nordamerika nun unter mir war, dann Europa und im nächsten Augenblick Russland. Die acht Häuser hatten sich in Flüsse verwandelt, die sich weit verzweigten. Keine echten Flüsse mit Wasser und Strömung, sondern Linien, von denen weitere in verschiedene

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