Entfesselt
hin.
Das war Charles als Callboy in Irland - allerdings war nicht zu erkennen, wie lange es her war, dass er sein Geld auf diese Weise verdient hatte.
Wieder ein Wechsel und wir sahen ein brennendes Gebäude. Es befand sich in einer Großstadt und war nicht das einzige, das brannte. War es London? Oder Boston? Ich wusste es nicht.
Bei diesem Haus breiteten sich die Flammen schnell aus. Im ersten Stock wurde ein Fensterladen krachend aufgestoßen und ein Mann in Straßenkleidung stieg über das Sims. Hinter ihm schrie eine Frau: »Geh nicht! Lass mich nicht allein!«
»Ich hole eine Leiter!«, sagte der Mann und schüttelte ihre Hand von seiner Schulter ab. »Lass mich gehen!«
Schluchzend trat sie zurück. Der Mann stieß sich vom Fenstersims ab und landete hart auf dem Bürgersteig. Er schüttelte den Kopf und wirkte einen Moment lang benommen, aber dann rappelte er sich auf. Als Nächstes sahen wir Solis davonrennen, so weit weg von dem brennenden Haus wie nur möglich. Das Feuer fraß sich an der Seitenwand des Hauses hoch bis zum Fenster, als wollte es mal eben hineinschauen. Wir konnten die Frau immer noch weinen hören, sie wegen der Flammen aber nicht mehr sehen. Kurze Zeit später brannte das ganze Haus und ihre Schreie verstummten.
In der nächsten Szene war Anne sehr dick. So, wie sie gekleidet war, musste es ungefähr die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts sein. Wir befanden uns in einem dieser Kramläden, in denen es von landwirtschaftlichen Geräten über Stoffballen bis hin zu Taschenmessern alles gab, doch die Regale waren fast leer. Durch das Schaufenster konnten wir die Leute sehen, die hektisch an die Tür klopften. Anne eilte zum Eingang und drehte das Schild um, das dort hing; das Wort »Geschlossen« war jetzt auf der Rückseite. Die Kunden strömten herein und wedelten mit Geldscheinen. Sie griffen sich alles, was sie erwischen konnten, und es interessierte sie offenbar nicht sehr, was es war. Mit vollen Armen wankten sie zum Tresen. Anne begann flink, Verkaufslisten zu schreiben, und addierte die Preise auf einem Stück Packpapier.
Erst da bemerkten die Leute die Preisschilder. Die ursprünglichen Preise waren durchgestrichen und durch neue ersetzt worden. Wir erkannten schnell, dass jedes einzelne Teil mindestens viermal so teuer war wie zuvor, und manche Dinge, wie etwa Werkzeuge, kosteten jetzt das Zehnfache. Die Kunden fingen an zu schreien und zu gestikulieren, aber Anne blieb gelassen.
»Ihr müsst hier nicht einkaufen«, sagte sie auf Deutsch.
»Niemand zwingt euch.«
»Aber dies ist der einzige Laden, der nicht überflutet wurde!«, zeterten die Kunden. »Und jetzt diese Wucherpreise! Das ist Ausbeutung!«
»Ich kann meine Preise gestalten, wie ich will«, erwiderte Anne eisern. Sie stand schwergewichtig hinter dem Tresen, beinahe kugelrund, die dunklen Zöpfe zu einer Schneckenfrisur hochgesteckt.
»Wie können Sie nachts noch schlafen?«, empörte sich ein Mann. »Wir sind Ihre Nachbarn! Das ist Diebstahl!
Die Menge war derselben Ansicht und begann: »Diebin! Diebin!« zu rufen. Anne blieb ungerührt.
Dann drängte sich eine Frau zwischen den Männern durch, die den Tresen belagerten. »Sie mag eine Diebin sein, aber mein Mann braucht Nägel!« Sie fing an, das Geld auf den Tresen zu zählen. Sehr langsam holte sie eine Münze nach der anderen aus ihrem schäbigen Geldbeutel.
Anne lächelte triumphierend.
All diese grausigen Erinnerungen machten mich fertig. Dazu kamen die Gedanken, die ich von den vier Leuten aufschnappte, die mit mir im Raum waren. Scham, Rechtfertigung, sogar Nostalgie - es herrschte ein ziemliches Gedränge in meinem Kopf.
Aber wir waren noch nicht fertig. Die Beleuchtung wechselte zu dem typischen kalten Licht, das man nur im hohen Norden vorfindet, in den Ländern, in denen ich aufgewachsen war. Wir sahen einen Raum mit Möbeln aus dem siebzehnten Jahrhundert. Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich die Wandteppiche, die holländische Truhe an einer Wand und die breiten Bodendielen. Das Zimmer ähnelte zwar anderen, die ich kannte, aber ich konnte mich nicht erinnern, jemals in diesem Raum gewesen zu sein.
Dann kam ich zur Tür herein, in der Uniform eines Dienstmädchens. Das grobe Leinenkleid, die Unterröcke, die Schürze und das weiße Häubchen verrieten mir, dass es ungefähr vierhundert Jahre her war. Ich schleppte eine schwere Kupferkiepe mit Kohlen zum großen Kamin des Zimmers. Die
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