Entfesselt
sagte sie langsam. »Ich kenne dich sehr wohl. Ich habe die letzten vier Monate mit dir gelebt, gegessen, gearbeitet und gelernt. Du bist alles Mögliche, und Gott weiß, dass du noch viel lernen musst, aber etwas bist du auf keinen Fall: böse.« Sie zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich genau.«
Mein Atem saß irgendwo in meinem Körper fest, als ich mich zögerlich dem Trost öffnete, den mir Brynnes Freundschaft spendete. »Danke«, krächzte ich und wischte mir mit dem Ärmel meines Sweatshirts über die Nase.
Brynne riss ihren schmachtenden Blick von Daniel los und musterte mich neugierig. »Da wir gerade von heißen Typen reden - gibt es etwas, das du mir über unseren guten einsilbigen Reyn mitteilen möchtest?«
Oh, ich liebe ihn so, ich will ihn, ich verstehe es nicht, ich habe Angst ...
»So einsilbig ist er gar nicht«, sagte ich. »Immerhin hat >Idiotin< vier Silben und das höre ich in letzter Zeit sehr oft von ihm.«
So leicht ließ sich Brynne nicht abwimmeln. »Seid ihr nun zusammen?«
Ich ließ den Kopf in die Hände sinken. »Ich weiß es nicht! Ich weiß es echt nicht. Wir streiten uns dauernd, aber wir -« »Jaa?« Brynne schnurrte es beinahe.
»Das ist nicht so einfach.« Brynne wusste nicht, welche Rolle Reyns Familie bei der Zerstörung meines Lebens gespielt hatte, und ich wollte es ihr nicht erzählen.
»Es ist einfach«, widersprach sie und stieß mich an. »Ihr passt so gut zusammen. Gib dir einen Ruck und ihm eine Chance.«
Nur zu gern. Ich sagte nichts, nickte aber. Brynne sah aus, als hätte sie gern noch mehr gesagt, sich aber entschieden, mich nicht zu bedrängen.
»Nastasja.« Rivers Stimme war ruhig, trug aber dennoch durch den ganzen Raum. »Wir haben uns unterhalten.« »Okay«, sagte ich und mir gefiel schon jetzt nicht, wohin diese Unterhaltung führen würde.
Aber Rivers Augen, die die Farbe von nassen Steinen in einem Fluss hatten, blickten freundlich.
»Wie erklärst du den Tod von hundert Singvögeln in Boston?«, platzte Ottavio heraus. Der genervte Blick, den River ihm zuwarf, war unbezahlbar, aber ich fiel trotzdem fast von der Couch. Woher zum Teufel wusste er davon?
»Das war ich nicht«, sagte ich und in meinem Kopf begannen erste Alarmglocken zu schrillen.
»Und der verkrüppelte Taxifahrer in London?«
Diesmal schlug River ihm auf die Schulter. Er ignorierte sie. »Das war ich nicht«, wiederholte ich energischer.
»Das Zugunglück in Indien? Bei dem es fast hundert Tote gab? «
Ich starrte ihn fassungslos an. Das war mindestens achtzig Jahre, her. »Auch das war eine Tragödie, mit der ich nichts zu tun hatte.«
In diesem Moment wurde die Tür hinter ihnen geöffnet und Annes Schwester Amy kam mit einem Tablett herein. »Hasch-Brownies?«, fragte sie fröhlich und sah von einem zum anderen.
Wir waren wie vom Donner gerührt.
»Im Ernst?« Brynne war die Erste, die ihre Stimme wiederfand. Amy seufzte bedauernd. »Nein, leider nicht. Nur ganz normale Brownies. Möchte trotzdem jemand einen?« Erst da schien sie die Spannung im Raum zu spüren, sah mein Gesicht und runzelte die Stirn. »Ich denke, dass jeder von euch einen Brownie essen sollte.« Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass 'wir ihr Angebot lieber nicht ablehnen sollten. Sie ging mit dem Tablett herum und starrte jeden so lange an, bis er zugriff. Aber es brauchte mehr als ein bisschen Gebäck, um Ott zu stoppen, der gerade so richtig in Fahrt war.
»Die Ereignisse in einem Klub namens Miss Edna?« Sein Gesicht war dunkel und gereizt.
Amy baute sich direkt vor ihm auf. »Nimm. Einen. Brownie.«
»Ist da wirklich kein Hasch drin?«, flüsterte ich Brynne zu, die bedauernd den Kopf schüttelte.
Ottavio ignorierte sie und versuchte, sie aus dem Weg zu schieben. Aber Amy blieb eisern stehen, bis er sie endlich ansah. »Geh bitte!«, fuhr er sie an.
»Du bist Gast in diesem Haus«, sagte Amy drohend. Ich bekam einen Krümel in den falschen Hals und fing an zu husten. So hatte ich Amy noch nie erlebt und offenbar auch sonst niemand. Brynne und ich tauschten fragende Blicke.
Es dauerte einen Moment, bis Ottavio sie nur noch verblüfft anstarrte.
»Was machst du hier?« Amys Stimme war ruhig, aber nicht zu überhören. Ich schaute zu River, die Amy überrascht, aber auch abwartend ansah.
»Ich will die Wahrheit wissen!« Ottavio lehnte sich zurück und seine schwarzen Haiaugen sprühten
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