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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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zu singen begann. Einer nach dem anderen fiel ein und unsere Stimmen und unsere Lieder verschmolzen miteinander. Die Scheunenwände verschwanden und ich spürte meinen kalten Hintern und meine Verlegenheit nicht länger. Anne baute Worte in ihr Lied ein und forderte uns auf zu zeigen, was wir sehen mussten. Ich fühlte, wie sie uns in ihren Zauber hineinzog, ihn aus unseren Stimmen formte.
      Beschwörungen haben Formen und Strukturen; manche von ihnen sind federleicht wie Seidenfäden, andere sind kräftig und stabil, erschaffen, um Lasten zu tragen und Zielstrebigkeit und Macht. Dieser Zauber fühlte sich an wie ein Korb aus Weidengeflecht. Dann spürte ich, wie die Gedanken von Jess meine zögerlich berührten, und eine Minute später teilten wir fünf dieselbe Vision.
      Es war eine Farm. Auf den Feldern erstreckten sich Sträucher mit weißen Klecksen bis in die Unendlichkeit. Baumwolle, es waren Baumwollfelder. Die Vision waberte und schloss nun auch ein großes weißes Haus mit Säulen und Glastüren ein. Ich hörte ein Bumm! Der Boden bebte. In der Ferne leuchtete der Horizont kurz auf und selbst auf diese Entfernung konnte ich den Schwefel und das Schießpulver riechen. Ein weiteres Bumm! ließ uns zusammenzucken. Die Farm lag am Rand eines Schlachtfeldes und die Kämpfe kamen näher.
      Leute rannten. Ein kleiner Junge in einem Matrosenanzug brach weinend unter einem großen Baum zusammen und eine Frau in langen Röcken nahm ihn auf den Arm und sah sich hektisch um.
      Plötzlich waren wir hinter dem Haus, bei den Feldern. Links standen Reihe um Reihe schäbiger Hütten mit unverglasten Fenstern, Löchern in den Wänden und bröckelnden Schornsteinen, aus denen zum Teil Rauch aufstieg.
      Angst erfüllte mich, als immer mehr Schreie zu hören waren.
      Hunde bellten, ein Pferd riss sich los und galoppierte davon und das Donnern der Geschütze erschütterte immer noch den Boden. Außerdem war jetzt das Knallen der Musketen zu hören.
      Ein Mann ritt zu den Hütten, brüllte etwas und ließ seine   Peitsche knallen. Das Pferd rollte vor Angst mit den Augen und war schweißnass. Zögernd kamen die Leute aus den Hütten und ihre schwarze Haut glänzte im matten Licht. Der Mann brüllte sie an und zeigte mit einer Hand auf das große Haus. Die Leute duckten sich, sogar die Männer, und es schien niemanden zu wundern, als er mit der Peitsche nach einem Mann schlug und ihm das zerlumpte Hemd von der Schulter peitschte. Sofort färbten sich die Stoffränder rot.
      Der Mann stieg vom Pferd. Der Schlachtenlärm wurde immer lauter. Eine Frau schrie: »Oh Gott! Sie kommen!«
      Am Sattel des Pferdes hingen Reihen schwerer Ketten. Der Mann packte sie und ging damit auf die Sklaven zu, obwohl es erneut so laut dröhnte, dass es sich anfühlte, als würde die ganze Scheune beben. Die Sklaven sahen den Mann mit den Ketten auf sich zukommen und einer von ihnen schrie etwas. Sofort fuhren sie herum und rannten in alle Richtungen davon. Der Mann blieb wutschnaubend und mit knallrotem Gesicht zurück und versuchte, die Sklaven mit der Peitsche wieder zusammenzutreiben.
      In einiger Entfernung strömten die ersten Soldaten über einen flachen Hügel und schwenkten eine amerikanische Flagge. Der wütende Mann, Jess, hatte sandfarbenes Haar und ein grobes Gesicht.
      Ich war froh, als der schreckliche Lärm des Kriegs verebbte und wir weiterbefördert wurden nach ... wohin - England? Irland? Dicke stuckverzierte Wände, offene Fenster, durch die ausgelassenes Gelächter von draußen hereindrang. Es war ein Gasthaus. Der Mond schien ins Zimmer wie ein Suchscheinwerfer und beleuchtete den rothaarigen Mann, der lautlos aus dem Doppelbett mit dem Metallrahmen glitt. Neben ihm lag ein Mann mit einem altmodischen Zwirbelbart, der sein Unterhemd noch anhatte und mit offenem Mund schnarchte.
      Mit seiner frischen hellen Haut und den klaren Augen sah der Rothaarige aus wie ein Bauernjunge. Er trug nur eine von diesen Unterhosen zum Zubinden und zog das Band um den Bauch fest, damit sie ihm nicht herunterrutschte. Fasziniert sahen wir zu, wie er die Brieftasche aus der Hosentasche des Mannes holte, sie öffnete und fast das ganze Geld herausnahm. Dann glitt er wie ein Schatten zu der Topfpflanze auf einem hölzernen Ständer. Er packte die Pflanze dicht über der Erde, hob sie aus dem Topf, ließ das Geld hineinfallen und drückte die Pflanze wieder fest. Mit einem Lächeln schlich er zurück zum Bett und legte sich

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