Entfesselt
in die Küche gehängt hat. Eins, auf dem wir alle vier drauf sind.«
»Wow«, sagte ich leise. »Aber es tut mir trotzdem leid. Ehrlich.« »Okay.« Meriwether nickte, sah sich noch einmal um und beugte sich dann dichter zu mir. »Weißt du was? Mrs Philpott kommt in letzter Zeit besonders oft und redet mit Dad.«
»Im Ernst?« Mrs Philpott war eine Witwe aus dem Ort, die mit Old Mac zusammen auf die Highschool gegangen war. Meriwether presste die Lippen zusammen und ihre Augen funkelten. »Ich glaube, sie kommt nur, um mit Dad zu reden.« »Ist ja irre.« Wir sahen uns einen Moment lang an und teilten unsere Faszination über diese neue Wendung im Leben von Old Mac. Ich wünschte wirklich, ich würde noch hier arbeiten. Dann könnten Meriwether und ich über alles tratschen, was passierte, wie wir es vorher auch getan hatten. Aber ich hatte ja meinen Mund nicht halten können und war gefeuert worden. »Ah, da bist du, Nas.« Lorenz warf sich seinen italienischen Wollschal kunstvoll über die Schulter. »Und Sie, Miss - können Sie mir sagen, wo ich Aspirin finde? Ich habe Zahnschmerzen.« Er bedachte Meriwether mit einem Lächeln, und obwohl es immer noch schief war, blinzelte sie unter dieser Charme-Attacke wie ein verlegener Groupie, der zum ersten Mal seinem Star gegenübersteht.
Nach einer Sekunde hatte sie sich wieder im Griff und führte ihn in den angrenzenden Gang. »Wenn es nur gegen Zahnschmerzen sein soll, sollten Sie lieber Ibuprofen oder Tylenol nehmen«, murmelte sie. »Aspirin verdünnt das Blut. Das nehmen die Leute, um Herzinfarkten vorzubeugen.«
»Oh, danke«, sagte Lorenz. »Sie sind wirklich hilfsbereit.« Wieder das Lächeln und der tiefe Blick seiner mittelmeerblauen Augen. In Kombination mit seiner gebräunten Haut und den schwarzen Haaren sah er umwerfend aus und das wusste er. Genau genommen war sein gutes Aussehen daran schuld, dass auch Lorenz sein Päckchen zu tragen hatte und sich nun auf River's Edge deswegen therapieren lassen musste. Ich nahm mir vor, ihn bei Gelegenheit daran zu erinnern.
»Ich komme bald wieder«, sagte ich zu Meriwether und wünschte mir erneut, dass wir nur über die Straße laufen mussten zu einem - was? Genau. Einem netten, kleinen Coffeeshop. »Ich freu mich drauf«, erwiderte sie, aber ihre Augen leuchteten schon wieder angesichts von Lorenz' Lächeln, als er sich verabschiedete.
Am liebsten wäre ich zum Auto gehüpft. Meriwether hasste mich nicht. Vielleicht waren wir sogar noch Freundinnen. Sie hatte sich gefreut, mich zu sehen. Das machte mich echt glücklich. »Deine Freundin, die kleine ... Meriwether heißt sie doch, oder?«, sagte Lorenz. »Weißt du, ob sie schon achtzehn ist? Sie ist doch in der Abschlussklasse der Highschool, hast du nicht so was erwähnt?« Er sprach ganz beiläufig, als wir zum Wagen gingen, aber seine Worte trafen mich wie ein kalter Wasserguss: Lorenz war kaum älter als hundert und hatte bereits zweihundertfünfunddreißig Kinder gezeugt. Zweihundert. Fünfunddreißig Kinder. Und er war keinem davon ein Vater.
Er war unter anderem in River's Edge, um dieses unverantwortliche Verhalten zu erkennen (und hoffentlich auch zu beenden). Ich blieb abrupt stehen und nach ein paar Schritten drehte er sich zu mir um. Sein Lächeln verschwand, als er mein Gesicht sah.
»Lorenz, wenn du dich an Meriwether heranmachst, hack ich dir die Beine ab.«
Er fing an zu lachen, weil er es für einen Witz hielt, aber mein Blick bohrte sich in ihn wie ein Laser.
»Was? Oh, nein. Sei nicht albern, Nasja.« Er zog energisch am Griff der Autotür, aber ich hatte die Türen noch nicht entriegelt. Ich sah ihn über die Motorhaube hinweg an. »Lorenz. Hör mir gut zu. Wir alle müssen mit unseren Fehlern fertig werden. Und ich habe wirklich genug eigene Sorgen. Aber Meriwether ist meine Freundin, und wenn du ihr nachstellst, wirst du es bereuen.« Meine Stimme war ernst und ruhig und klang total erwachsen. So etwas passte gar nicht zu mir - normalerweise kümmere ich mich nicht mal um mich selbst, geschweige denn um eine Freundin. Aber Meriwether war anders - ein wirklich netter Mensch mit Hoffnungen und Träumen. Sie hatte viel durchgemacht und ich würde auf keinen Fall zulassen, dass Lorenz ihr Leben noch komplizierter machte.
»Bitte, Nastasja«, verteidigte er sich steif. »Du hast das missverstanden.« Ich ließ die Türen aufklicken und wir stiegen ein. Er sah verlegen und natürlich auch schuldbewusst
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