Entfesselt
Beschwörungen zu lesen, die ich in den letzten vierhundert Jahren sträflich vernachlässigt hatte.
Eines Tages, als ich gerade über einem dicken Wälzer mit dem Titel »Amerikas Kräuter« herumdämmerte, fiel mir plötzlich auf, dass eine kleine Gruppe schräger Leute vor mir stand.
Ich musste ein paarmal blinzeln, um zu erkennen, dass eine von ihnen Dray war. Begleitet wurde sie von einer fies dreinschauenden Frau mit blond gefärbten Haaren, die aussah, als hätte sie zu jung mit dem Rauchen angefangen und seitdem nicht wieder aufgehört: Luisa Grace, ein eigentlich recht hübscher Name, der kein bisschen zu ihr passte. Außerdem war da noch ein großer dünner Typ, der mit seiner fiesen Akne echt krank aussah.
Ich hatte schon einmal mit Luisa Grace gesprochen - war es irgendwas mit Kunsthandwerk gewesen? -, aber was hatte sie mit den beiden anderen zu schaffen? Wenn diese merkwürdige Truppe eine meiner Wohnungen mieten wollte, brächte mich das in eine unangenehme Lage.
»Hey«, sagte Dray.
»Hey«, erwiderte ich misstrauisch.
»Du kennst Luisa«, sagte Dray und zeigte auf die Frau. »Und Skunk.« Der Typ.
»Äh, hi«, murmelte ich. Skunk? Im Ernst? Erst da sah ich, dass sie alle Tüten oder einen Karton dabeihatten, und mein Herz rutschte ein paar Etagen tiefer. Ich würde diese drei auf keinen Fall ...
»Zeig's ihr«, befahl Dray. Luisa Grace griff in ihren Müllsack und ... zog einen weißen Patchwork-Teddybären heraus.
»Ich hab Ihnen ja schon mal gesagt, dass ich diese Bären mache«, sagte Luisa und setzte ihn vor mich auf den Klapptisch.
»Aus alten Bettlaken. Wie diese hier.« Sie holte drei weitere Bären aus dem Sack; einen aus weißer Baumwolle, den nächsten aus blauem Frottee und einen weiteren aus pastellfarbener Mikrofaser.
Sie waren wirklich süß. Ich nahm einen in die Hand und mir fielen die feinen sauberen Nähte ebenso auf wie die putzigen runden Ohren.
»Die sind toll«, sagte ich.
»Ich verkaufe sie auf Handwerksmärkten«, erklärte Luisa. »Und auf dem Bauernmarkt. Sie bringen so zwischen fünfundsechzig und zweihundertzwanzig Dollar, je nachdem, woraus sie gemacht sind.«
»Wow«, sagte ich und tippte dem Bären auf die Knopfnase. »Ich habe in den letzten sechs Monaten mehr als hundertfünfzig davon verkauft.«
»Wow«, sagte ich noch einmal.
»Ich nähe sie und meine Kinder stopfen sie aus«, erklärte Luisa.
»Cool.«
»Skunk«, sagte Dray und stieß den Typen an. Er stellte den gammligen Karton auf meinen Tisch und fing an, T-Shirts herauszuholen.
»Ich mach die hier«, murmelte er und ließ einen Packen direkt vor meine Nase fallen.
»Er bemalt T-Shirts«, erklärte Dray.
Ich sah mir eines nach dem anderen an. Sie waren verziert mit Schädeln, Kampfbombern, bösen Slogans, Bildern von Schlagringen und ähnlich erheiternden Motiven.
»Das gefällt mir«, sagte ich und hielt eins hoch, auf dem rote Kampfjets grüne Bomben auf ein paar Dinosaurier abwarfen. Skunk nickte. »Ist 'n Weihnachtsmotiv.«
Dray hatte einen kleineren Karton dabei, der einmal vierundzwanzig Dosen Katzenfutter enthalten hatte. Sie öffnete ihn und holte handgemachten Schmuck heraus: Armbänder aus kompliziert geflochtenem Telefondraht, eine Halskette aus den Verschlüssen von Getränkedosen, die sie zusammengerollt hatte wie Perlen, und eine weitere Halskette mit einem in Kupferdraht gefassten Stück Mattglas als Anhänger.
»Hast du das gemacht?«, fragte ich und sie nickte unbeteiligt.
»Hält mich von der Straße fern.« Sie klang gelangweilt.
»Wie schon gesagt: Ich möchte den Laden mit der blauen Fassade mieten«, verkündete Luisa. »Um meine Bären zu verkaufen. Und für andere Leute, die ihre Sachen dort anbieten wollen. Handgemachte Sachen. Wie diese beiden, und dann habe ich noch einen Freund, der kleine Jäckchen für Weinflaschen näht. Die sind total süß.«
Wir »verhandelten« eine Weile über die Miete, was im Klartext bedeutete, dass Luisa versuchte, mich über den Tisch zu ziehen. Aber schließlich einigten wir uns, unterschrieben den Vertrag und ich hatte meinen zweiten Laden vermietet. Ich wusste natürlich nicht, wie lange Dray Schmuck herstellen würde, aber mir gefielen ihre Arbeiten wirklich und ich bat sie eines der Armbänder für mich aufzuheben, damit ich es kaufen konnte, sobald sie ihr Geschäft eröffneten.
Aus der Secondhand-Idee war nichts geworden, aber der
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