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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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Steppe. Er weiß nicht mehr, was es bedeutet, zu wissen. Der erste Joint hat allem einen Sinn gegeben, der zweite befreit ihn wieder davon. Weit weg, irgendwo tief im Innern, rezitiert ein Schamane einen uralten Singsang. Er erinnert Ahmed merkwürdigerweise an Robert Wilson. An einen weißen Robert Wilson, dessen verzerrter Gesang sich an die Rauchkringel schmiegt …
    Not quite. Not quite so, oh noooo, baby, not quite
    so, it ain’t so, no, no, no …
    Ahmed wiegt sich auf dem Lied der Welt. Er begegnet Bildern voller Reinheit. Farben, Linien, Licht. Und Buchstaben. Manchmal auch Worten. Worte jenseits von Sprache.
    Die Leinen sind los. Er lässt sich einfach treiben.

6
    Mercator sitzt wie üblich allein in seinem großen, leeren Büro. Der Schreibtisch aus Ebenholz ist leer. Der Füllfederhalter liegt in einer Schublade, die Blätter mit den Kreisen hat er irgendwo verstaut. Die beiden jungen Beamten sind dem Ruf ihres Chefs mit einer gewissen Unruhe gefolgt. Mercator wendet sich an Jean:
    »Und es waren wirklich drei Orchideen?«
    »…«
    »Im Dreieck auf dem Toilettendeckel drapiert?«
    »Ja. Wir haben sie fotografiert. Wenn Sie wollen …«
    »Nicht nötig. Ein Dreieck in einem Kreis. Okay, genau genommen ist es ein Oval, aber im Kopf des Täters soll es einen Kreis darstellen. Sie haben sich in der Hauptsache auf die sehr offensichtliche Inszenierung des Schweinebratens konzentriert, aber es gibt tatsächlich noch eine zweite. Denken Sie mal darüber nach. Ein Dreieck in einem Kreis.«
    »Glauben Sie …«
    »Im Augenblick glaube ich noch gar nichts. Am besten denkt jeder für sich nach, und wir reden später noch einmal darüber. Und sonst? Gibt es etwas Neues?«
    »Der Autopsiebericht ist da. Wir wissen jetzt, dass Laura nach etwa fünfzehn Stichen in den Genitalbereich verblutet ist. Vermutlich wurde das Blut in einem Behältnis aufgefangen, aber darauf haben wir keine konkreten Hinweise. Ich glaube, das ist der widerlichste Fall, denn wir je hatten. Rachel hat mit Scarpone gesprochen, deshalb macht sie jetzt am besten weiter.«
    »Laura war mit Schweineblut beschmiert. Die Gerichtsmedizinerin sagt, dass man ihr das Blut erst nach ihrem Tod über den malträtierten Unterleib geschüttet hat. Um noch einmal auf die Inszenierung zurückzukommen: Das Messer steckte in einem Schweinebraten, der auf dem Tisch stand. Es handelt sich um eine fast künstlerisch anmutende Installation, die den Titel ›Die Bestrafung der Unreinheit‹ tragen könnte oder sowas in der Art. In dem Viertel wohnen viele Juden und Moslems, unter ihnen eine Menge Fundamentalisten. Die grausige Darstellung könnte für Angehörige beider Religionen eine tiefere Bedeutung haben. Sie zeigt, dass man die Tote nicht nur beschmutzen, sondern sie sozusagen ein zweites Mal für alle Ewigkeit töten wollte. Die Mörder haben sich in gewisser Weise das Recht angemaßt, sie zu verdammen.«
    »Oder sie möchten uns glauben machen, dass sie das wollten«, wirft Mercator ein.
    »Richtig. Aber unabhängig davon, ob die Mörder aus religiösen Gründen gehandelt haben oder nicht, ist die Situation irgendwie paradox, weil Laura Vignola keiner der beiden Religionen angehörte. Trotzdem aber zielt die Darstellung darauf ab, jüdische oder muslimische Vorstellungswelten zu treffen.«
    »Oder beide gleichzeitig.«
    »Daran habe ich auch schon gedacht, zumal die drei besten Freundinnen der Toten diesen Religionen angehören. Eine entstammt einer offenbar chassidischen Judenfamilie, die beiden anderen sind Muslimas.«
    »Was ist mit dem Nachbarn?«
    Jean wirft Rachel einen flüchtigen Blick zu und setzt zur Antwort an.
    »Ahmed Taroudant ist chronisch depressiv. Aber ganz ehrlich: Ich glaube nicht, dass er es war. Es passt nicht zu ihm. Trotzdem holen wir natürlich Erkundigungen über ihn ein. Ebenso wie über die drei Freundinnen. Die Jüdin scheint verschwunden zu sein, aber die beiden Muslimas wollen wir in«, er wirft einen Blick auf die Uhr, »einer halben Stunde treffen, wenn sie aus der Uni kommen.«
    »Prima. Zugang zu den Chassidim des Viertels und natürlich auch zu den Moscheen haben Sie ja. Aber denken Sie daran, dass es noch zu früh für ein forsches Vorgehen ist. Ich habe in Bezug auf die Inszenierung am Tatort schon eine absolute Nachrichtensperre angeordnet, aber das wird wie immer höchstens ein oder zwei Tage funktionieren. Irgendjemand quatscht immer. Da braucht sich nur ein gut aussehender Journalist an die Sekretärin der Forensiker

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