Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)
oder an die des Leichenschauhauses heranzumachen … Nutzen Sie Ihren Vorsprung, und geben Sie Gas. Ausruhen können Sie sich, wenn der Fall gelöst ist. Ich weiß nicht, warum, aber ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Also los!«
Die beiden Beamten sind schon auf dem Flur, als der Chef sie noch einmal zurückruft.
»Kupferstein, Hamelot! Hatte diese Flugbegleiterin eigentlich Familie?«
Rachel beißt sich auf die Unterlippe wie ein kleines Mädchen, das bei einem Missgeschick ertappt wird.
»Mist! Die Eltern! Die habe ich total vergessen! Die Concierge hat uns erzählt, dass Laura aus irgendeinem Grund mit ihnen gebrochen hat. Ich werde Gomes darauf ansetzen, sie zu finden. Sobald wir aus der Kebab-Bude zurück sind, nehme ich Kontakt zu ihnen auf.«
Jeans Kopf lugt um die Ecke.
»Ach übrigens, Chef, ich habe die Kollegen vom 18. gebeten, sich im Umfeld der Telefonzelle in der Rue Ordener umzusehen, von der aus wir über den Mord informiert wurden. Ich habe aber noch keine Rückmeldung bekommen, könnten Sie vielleicht noch einmal nachhaken? Die Kollegen haben sicher den einen oder anderen nützlichen Kontakt zu den Junkies und Dealern in dieser Ecke aufgebaut und können uns möglicherweise weiterhelfen. Wir revanchieren uns bei Gelegenheit natürlich sehr gerne.«
Auf Jeans Schreibtischlampe klebt ein violettes Post-it: Léna Morel anrufen!
»Hallo Léna!«
»Ach du bist es, Jean! Ich habe morgen um sechzehn Uhr Feierabend. Wir beide treffen uns um halb sieben am Châtelet im Sarah-Bernhardt mit Dr. Germain. Er möchte, dass ich dabei bin. Wenn du danach noch Zeit hast, können wir uns im New Locomotive noch ein paar vietnamesische Crêpes gönnen. Okay? Ich komme mit dem Auto.«
»Okay. Danke, Léna. Ich muss los. Also bis morgen!«
Rachel spricht mit Gomes, einem jungen, fünfundzwanzigjährigen Beamten, der seine dunklen Haare mit Gel frisiert hat. Eifrig und konzentriert lauscht er jedem Wort, das über die vollen Lippen seiner Kollegin dringt: Er soll die Eltern von Laura Vignola finden, die am 25. Februar 1978 in Niort geboren wurde. Er soll versuchen, so viel wie möglich über sie zu erfahren, aber er darf auf keinen Fall bei ihnen anrufen. Laura hat sich offenbar mit ihnen überworfen, und Rachel ist auf der Suche nach einem Erklärungsansatz. Wenn er den vielleicht finden könnte … Rachel belohnt den jungen Kollegen mit einem müden Lächeln, dreht sich um und geht zu Jean.
»Und?«
»Der Psychiater ist mit einem Treffen einverstanden. Ich glaube, es ist besser, wenn ich allein hingehe. Er hat Léna gebeten, dabei zu sein.« Ein wenig verlegen fügt er hinzu: »Anschließend gehe ich mit Léna essen.«
»Aha! Alte Liebe rostet eben doch nicht.«
»Du bist echt blöd! Wir gehen mindestens einmal im Monat zusammen essen. Sie ist schließlich die Einzige, die mir von früher geblieben ist. Du bist hier in Paris aufgewachsen, du verstehst nicht, wie es ist, sich entwurzelt zu fühlen.«
Rachel lächelt in sich hinein. Manchmal flirten sie beide ein bisschen miteinander, aber nur so zum Spaß. Irgendwann einmal, nach einem ziemlich prekären Einsatz in einem von Kamerunern besetzten Haus, sind sie gemeinsam durch die Kneipen der Rue Oberkampf gezogen und fanden sich gegen drei Uhr morgens schließlich im Cythéa wieder, wo sich die Anspannung nach einer halben Stunde Tanzerei schließlich gelöst hatte. Sie saßen vor einem Abtei-Bier, die Unterhaltung war mittlerweile recht einsilbig. Als Jean Rachel schließlich nur noch anstarrte, hatte sie ihn gefragt:
»Woran denkst du gerade?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Durchaus.«
»Daran.«
Er lehnte sich über den Tisch und küsste sie. Rachel erwiderte den Kuss mit einer Energie, die ihn überraschte und erschreckte. Plötzlich befürchtete er, nicht gut genug zu sein und sie nicht ausreichend zu begehren. Es war eine alte Angst, die er nur allzu gut kannte. In aller Regel merkten die Frauen nichts davon, zumindest taten sie so. Rachel aber zog sich sofort zurück und schaute ihn fragend an.
»Was genau willst du?«
»Wenn ich das nur wüsste.«
Der Zauber war gebrochen. Jeans Gesicht verfinsterte sich, Rachel winkte ab.
»Erstens: Wir sind Kollegen. Es wäre mit Sicherheit ohnehin schiefgegangen. Zweitens: Es ist gut, dass wir es versucht haben, weil es sonst dauernd in unseren Köpfen herumgeschwirrt wäre. Und drittens: Zieh nicht so ein Gesicht, weil ich sonst sofort verschwinde. Das aber wäre sehr schade, denn
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