Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)
manchmal frage ich mich, warum man ihn nicht verhaftet hat.«
»Weil wir beide – du und ich – genau wissen, dass er es nicht war. Deswegen. Er hat weder das Format dazu, noch passt es zu ihm. Und wir werden sicher nicht wertvolle Zeit damit vergeuden, einer falschen Spur zu folgen. Ihn vierundzwanzig Stunden in Untersuchungshaft zu nehmen wären vierundzwanzig Stunden verlorene Zeit für die Ermittlungen.«
»Ich kann mir schon lebhaft ausmalen, wie wir das Mercator beibringen: Nein, Monsieur le Commissaire, er kann es nicht gewesen sein, denn Lieutenant Kupferstein hat sich in ihn verknallt. Sie müssen das verstehen, Monsieur le Commissaire …«
»Hör auf. Du hast mich nicht mal ausreden lassen. Er hat mich angerufen, um mir zu sagen, dass er wieder zur Analyse geht und dass er in der Buchhandlung von Monsieur Paul Arbeit gefunden hat.« Rachel schaut Jean direkt in die Augen. Ihr Blick ist hart, aber auch flehend. »Jean, du bist mein Partner und mein Freund. Ich verschweige dir nichts, weil es sich hier nicht nur um mein Privatleben, sondern auch um ein Ermittlungsverfahren handelt und ich mir darüber sehr wohl im Klaren bin. Ich gebe zu, dass mich Taroudants Anruf berührt hat. Vor allem, als er mir gestand, dass der Hauptgrund eigentlich sein Wunsch war, meine Stimme zu hören. Das hat mich aufgewühlt, und deswegen brauche ich deine Hilfe. Ahmed … Ahmed berührt irgendetwas tief in mir. Schon gestern Morgen bei ihm zu Hause hatte ich weiche Knie. Abends vor dem Einschlafen habe ich an ihn gedacht und sein Gesicht vor mir gesehen, und heute Morgen ruft er an … Okay, wenn ich es unbedingt in Worte fassen muss, hat es sicher etwas mit Gefühlen zu tun. Ich bin dabei, mich in ihn zu verlieben. Ich bin zumindest im Frühstadium. In einem sehr, sehr frühen Frühstadium.«
Rachel ist sehr bewegt und den Tränen nah, aber sie reißt sich zusammen.
»Ich möchte dich bitten, mich nicht zu verurteilen, sondern mir zu helfen, den Durchblick nicht zu verlieren. Dass es einen so erwischt – das passiert schließlich nicht jeden Tag. Trotzdem darf unsere Ermittlung nicht darunter leiden. Wenn du also merkst, dass ich ins Schleudern komme, musst du es mir sagen. Aber bleib fair dabei.«
»Tja, das dürfte nicht ganz einfach werden. Ich bin natürlich zuerst mal eifersüchtig. Auch wenn ich genau weiß, dass aus uns beiden nie etwas werden wird, versetzt es mir trotzdem einen kleinen Stich. Aber … Ich habe dich sehr, sehr gern, Rachel. Das sage ich dir heute zum ersten und wahrscheinlich zum letzten Mal – also behalte es gefälligst im Hinterkopf. Du bedeutest mir sehr viel, und ich möchte dir niemals wehtun. Aber ganz ehrlich: Du verlangst ganz schön viel von mir. Was das andere angeht, bin ich vollkommen deiner Meinung. Ahmed kommt als Mörder nicht infrage, daran besteht kein Zweifel. Trotzdem werde ich mich auch da rückversichern. Ich habe heute einen Termin mit seinem Psychiater. Ansonsten kann ich nur sagen: Sei um Himmels willen vorsichtig! Bis der Fall gelöst ist, musst du den größtmöglichen Abstand einhalten. Stell dir bloß vor, was passiert, wenn das publik wird. Du liebe Güte!«
»Klar bin ich vorsichtig. Ich habe ihn gebeten, mich anzurufen, falls er irgendetwas herausbekommt. Er meint, er würde alles tun, was ihm einen guten Grund liefert, mich anzurufen und mich wiederzusehen. Und das werde ich wohl aushalten.«
»Sollte es dazu kommen, sagst du mir sofort Bescheid. Wir gehen dann zusammen zu diesem Treffen.«
»Einverstanden.« Sie unterbricht sich, sieht Jean an, murmelt ein leises »Danke«, atmet tief durch und fährt fort:
»Wenden wir uns also den ernsten Dingen zu. Letzte Nacht haben Bintou und Aïcha bei mir angerufen. Sie fragten, ob ich Skype habe, das ist eine Software, mit der man kostenlos im Internet telefonieren kann.«
»Ich kenne Skype.«
»Aha? Ich kannte es nicht. Jedenfalls kommen die beiden heute Nacht zu mir, um über Skype mit Rébecca zu sprechen.«
» Yes! Das ist mal eine gute Nachricht. Wo ist Rébecca?«
»Danach habe ich noch nicht gefragt. Aber offenbar weit weg. Gleich anschließend habe ich meinen Computer hochgefahren und eine Mail von Gomes gefunden. Er hat für mich heute Nachmittag ein Treffen mit einem ehemaligen Zeugen Jehovas aus Niort organisiert.«
»Ahmed, Kevin – all diese Männer, die einfach alles für dich tun.«
»Hahaha! Und jetzt zu dir. Was war mit Mercator?«
»Warte, ich will dir vorher noch etwas zeigen. Erinnerst
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