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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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und das, was er für dich tut und was du für ihn und die Gemeinschaft tust. Wenn die Frau dich nicht will, dann willst du sie eben auch nicht. Ganz einfach. Wo ist das Problem? Sollen sie sie doch vergessen! Wichtiger ist, dass niemand ihr hinterherschnüffelt. Wir wollen doch auf keinen Fall Aufmerksamkeit erregen.«
    Susan hatte Dov angeschaut. Der junge Mann war völlig ratlos und den Tränen nah gewesen.
    »Bist du traurig? Bist du wirklich traurig?«
    Langsam und fast ein wenig linkisch hatte Susan die Hand gehoben und seine Wange gestreichelt. Noch nie im Leben ist sie zu jemand anderem als ihrem Bruder zärtlich gewesen.
    »Er hat dich enttäuscht … Hör zu, Dov, sobald die Sache unter Dach und Fach ist, musst du nicht mehr bei deinem Rebbe bleiben. Komm einfach mit uns. Du wirst sehen, mit James und mir auf der Insel – das wird wunderschön. Wir werden mehr Geld haben, als wir ausgeben können. Meinst du, du kannst ihm begreiflich machen, dass er sich ruhig verhalten und diskret bleiben soll, um die Operation nicht zu gefährden?«
    »Das versteht er bestimmt. Keine Sorge.«
    Er hatte sie traurig angelächelt, ihr einen Kuss auf den Scheitel gedrückt und war aus dem Blickfeld der jungen Frau verschwunden, die sich bereits in ihre Rolle einer fehlgeleiteten Zeugin Jehovas vertieft hatte. Sie hatte ein letztes Mal an ihrem Joint gezogen, ehe sie die Kippe auf die Taxen, Busse und Passanten in der Avenue C hinunterflickte.
    Susan beobachtet jetzt, wie Vincenzo sich anzieht. Weißer Jockeyslip, blaue Polyamidsocken, langweiliger Anzug, schwarze Lederaktentasche. Einer plötzlichen Eingebung folgend, zieht auch sie sich rasch an. 501, Turnschuhe von Puma, Kapuzenshirt mit dem Aufdruck LAPD.
    »Ich begleite dich zum Grand Central.«
    Vignola fliegt um siebzehn Uhr dreißig ab Newark. Wenn er rechtzeitig am Flughafen sein will, hat er gerade noch Zeit, den Zubringerbus zu erreichen.
    »Nein, lass nur, das brauchst du wirklich nicht.«
    »Oh doch. Du wirst mir noch lang genug fehlen. Wann kommst du das nächste Mal?«
    »Ich weiß es nicht. Das steht noch nicht fest.«
    »Okay, ich kümmere mich darum. Und jetzt begleite ich dich. Eine halbe Stunde länger mit dir ist schließlich auch schon mal was.«
    Unterwegs wird sie noch einmal überprüfen, ob Vincenzo noch weiß, wie es weitergeht. Die erste Ladung ist schon unterwegs nach Europa und kommt in zwei Wochen in Niort an. Nach seiner Ankunft in Roissy wird sich Vignola mit den beiden französischen Verantwortlichen treffen und letzte Einzelheiten besprechen. Im Taxi ist er nervös und unruhig. Sein Lächeln wirkt steif. Wie hätte er auch ahnen können, dass sich die Tochter von Abigail Barnes, einem der angesehensten Ältesten der Zeugen Jehovas, als wahrer Dämon entpuppen würde? Ein Teufel im Stringtanga, auf den er schon jetzt nicht mehr verzichten kann. Er weiß, dass er verflucht und ihr hilflos ausgeliefert ist. Immer noch versucht er zu begreifen, wie das alles passiert ist. Die Zeitspanne zwischen dem unschuldigen Lächeln der reservierten jungen Frau, die ihm vor zehn Tagen zum ersten Mal in der Cafeteria gegenübersaß, und dem Augenblick kaum achtundvierzig Stunden später, als er sie wie der Leibhaftige ritt und dabei zu sterben glaubte, fehlt ihm völlig. Und vierundzwanzig Stunden später war er schon ihr Komplize in einem internationalen Drogenring, der unter dem Deckmantel der Organisation operiert, der er sein ganzes Leben gewidmet hat. Und als Susan leise »Godzwill« flüsterte – den Namen der Substanz, an deren Vertrieb er beteiligt ist –, lief ihm ein Schauder über den Rücken. Sein Körper, der nur Sekunden zuvor noch vor Lust vibriert hatte, hatte sich in schieres Entsetzen verwandelt.
    Weil er eine schlimme Vorahnung hat, möchte er nicht, dass seine Geliebte aus dem Taxi steigt, doch sie will ihn unbedingt zum Shuttle begleiten. Ein letzter Kuss, ehe sich die Türen schließen. Ein letzter Kuss, den zwei Frauen beobachten. Eine der beiden kauft gerade eine Flasche Wasser, die andere eine Zeitung. Die eine trägt eine Flugbegleiterinnenuniform und starrt das Paar entgeistert an.

27
    Der Gebetssaal ist geschlossen. Kein Haqiqi weit und breit. Rachel und Jean kommen an den Punkt der Ermittlungen, an dem alles zu verschwinden und sich dann doch wieder zusammenzufinden scheint, in ein und derselben Bewegung. Ein ganzes Bündel unterschiedlichster Indizien, Namen und Gesichter. Schlechte Schwingungen, die trotzdem genutzt werden

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