Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Als junger Mensch war er selbstsüchtig gewesen; im Alter wuchs diese Selbstsucht ins ungemessene. Und so kam es schließlich zu dem seltsamen Gebaren und zu der Gefühlskälte, die Ihr am eigenen Leibe gespürt habt.«
»Nun, Sir, und wie ist meine Lage angesichts dieser Umstände?« fragte ich.
»Der Grundbesitz steht Euch zweifellos zu«, erwiderte der Advokat. »Was Euer Vater damals unterschrieben hat, ist ohne rechtliche Wirksamkeit. Ihr seid der Alleinerbe. Aber Euer Oheim ist imstande, um das Widersinnigste zu kämpfen. Vermutlich wird er versuchen anzuzweifeln, daß Ihr wirklich David Balfour seid. Ein Gerichtsverfahren ist immer kostspielig und, wenn es unter Verwandten ausgetragen wird, stets ein Ärgernis. Sollten außerdem Eure Beziehungen zu Eurem Freunde wir nannten ihn Mr. Thomson ans Tageslicht kommen, so könnte sich herausstellen, daß Ihr Euch die Finger verbrannt habt. Hingegen würde Eure Entführung durch Hoscason ein Plus fur uns bedeuten, vorausgesetzt, daß wir den Beweis dafür erbringen könnten. Aber es dürfte schwierig sein, unsere Behauptung durch Tatsachen zu erhärten. Daher wäre es mein Rat, daß Ihr Euch mit Eurem Oheim einigtet vielleicht darauf einginget, ihn im Hause der Shaws zu belassen, in dem er seit über fünfundzwanzig Jahren verwurzelt ist, während Ihr Euch umsonst mit einer entsprechenden geldlichen Abfindung zufriedengeben müßtet.«
Ich sagte dem Advokaten, daß ich bereit sei nachzugeben und mir selbstverständlich vor allem ein Familienskandal in der Öffentlichkeit zuwider sei. Indessen legte ich mir in Gedanken in großen Zügen zurecht, wie sich der Plan, nach dem wir später vorgehen sollten, anlassen würde.
»Das wichtigste scheint mir«, sagte ich, »ihm die Schuld an meiner Entführung recht einprägsam zu Gemüte zu fuhren.«
»Gewiß«, sagte Mr. Rankeillor, »aber wenn möglich, ohne das Gericht damit zu behelligen. Denn seid Euch klar, Mr. David, wir könnten zweifellos einen Matrosen von der ›Covenant‹ ausfindig machen, der wohl auch beschwören würde, wie man Euch gewaltsam auf dem Schiff zurückgehalten hat. Aber im Zeugenstand würden wir seine Aussage nicht mehr beeinflussen können, und sicherlich würde ein Wörtchen über diesen Mr. Thomson fallen, was nach Euren eigenen Andeutungen sehr unerwünscht wäre.«
»Je nun, Sir«, sagte ich, »ich denke, es könnte etwa so vor sich gehen ...«
Und dann entwickelte ich Mr. Rankeillor meinen Plan.
»Das schließt ja für mich die Notwendigkeit ein«, versetzte der Advokat, »diesen ... Mr. Thomson kennenzulernen.«
»Das wird sich kaum vermeiden lassen, Sir«, erwiderte ich.
»Ach, du meine Güte!« rief er und rieb sich die Schläfe. »Ach, du meine Güte! Ich fürchte, dann läßt sich Euer Plan nicht verwirklichen. Damit will ich,nichts gegen Euren Freund Mr. Thomson gesagt haben. Ich weiß nichts Nachteiliges über ihn. Wüßte ich etwas, Mr. David merkt wohl auf, dann wäre es meine Pflicht, ihn festnehmen zu lassen. Ich möchte Euch die Entscheidung überlassen, ob es ratsam wäre, mich mit ihm zusammenzubringen. Er könnte doch allerhand auf dem Kerbholz haben. Vielleicht hat er Euch keinen reinen Wein eingeschenkt. Vielleicht heißt er gar nicht Thomson«, rief der Advokat und zwinkerte mir vielsagend zu, »denn Leute dieser Art lesen zuweilen am Wegrand irgendeinen Namen auf, so wie andere einen Grashalm.«
»Das müßt Ihr schon selber entscheiden, Sir«, sagte ich.
Aber mein Plan hatte ihm offenbar gefallen, denn er saß nachdenklich da, bis wir zum Mittagsmahl gerufen wurden, bei dem auch Mrs. Rankeillor zugegen war. Sie hatte sich kaum zurückgezogen und uns bei einer Flasche Wein allein gelassen, als der Advokat wieder auf meinen Vorschlag zu sprechen kam. Wann und wo würden mein Freund Thomson und ich noch einmal zusammentreffen? War ich der Verschwiegenheit meines Freundes gewiß? Wenn es uns gelänge, den alten Fuchs Mr. Ebenezer zur Nachgiebigkeit zu bewegen, wäre ich dann mit einem entsprechenden Vergleich einverstanden? Ununterbrochen von längeren Zwischenpausen, in denen er sinnend vor sich hin blickte, stellte er mir diese und ähnliche Fragen. Dabei ließ er den Wein genießerisch über die Zunge rinnen. Nachdem ich alles. anscheinend zu seiner Zufriedenheit, beantwortet hatte, verfiel er in noch tieferes Nachsinnen, und sogar sein Glas Glaret stand unbeachtet vor ihm. Dann nahm er ein Blatt Papier und einen Bleistift zur Hand. Während er ein Schriftstück
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