Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
hatte.
Der Schiffsjunge Ransome, der mir zuerst etwas von diesen Schändlichkeiten erzählt hatte, kam zuweilen von der Kajüte her, in der er schlief und die Offiziere bedienen mußte, ins Vorderkastell. Manchmal war er genötigt, in stummer Qual sein zerschundenes Bein zu pflegen, ein andermal tobte er über Mr. Shuans Wutausbrüche.
Mir blutete das Herz bei diesen Berichten, aber die Matrosen hatten großen Respekt vor dem Obermaat, den sie den einzigen wirklichen Seemann unter dieser ganzen Rasselbande nannten, der gar nicht der schlechteste sei, wenn er nicht betrunken war.
Ich stellte fest, daß zwischen unseren beiden Schiffsoffizieren ein seltsamer Unterschied bestand. Mr. Riach war in nüchternem Zustand unfreundlich, mißgelaunt und grob, während Mr. Shuan keiner Fliege etwas zuleide tat, wenn er nicht gerade betrunken war. Ich fragte, wie das in dieser Beziehung mit dem Kapitän sei, und man sagte mir, dieser eisernen Natur mache das Trinken gar nichts aus.
In der kurzen Zeit, die mir dazu blieb, tat ich mein Bestes, um aus dem armen Geschöpf, dem Ransome, einen Mann oder, genauer gesagt, erst mal einen ordentlichen Jungen zu machen. Aber in seinem Kopfe war es nicht ganz richtig. So konnte er sich nicht darauf besinnen, was vor der Zeit lag, ehe er angefangen hatte, zur See zu fahren. Er wußte nur noch, daß sein Vater Uhren gemacht hatte und in dem Wohnzimmer ein Star gewesen war, der das Liedchen pfeifen konnte: »Im Norden liegt mein Heimatland!« Die jahrelang erduldeten Quälereien und die Grausamkeiten seiner Peiniger hatten alle anderen Erinnerungen ausgelöscht. Vom Festland hatte er die seltsamsten Vorstellungen, die wohl den Erzählungen der Seeleute entstammten. Zum Beispiel war er überzeugt, daß junge Burschen auf dem Land zu einer Art Sklaverei, »Handwerk« genannt, gezwungen und die Lehrjungen in einem fort geprügelt und in stinkende Kerker geworfen werden. In den Städten war seiner Meinung nach jeder zweite Mensch ein Lockspitzel und jedes dritte Haus eine Falle, in der Seeleute mit Rauschgiften betäubt und ermordet wurden.
Natürlich erzählte ich ihm, wie freundlich man auf dem Festland, das er so sehr fürchtete, zu mir gewesen sei, wie gut meine Eltern und meine Freunde mich ernährt und wie sorgfältig sie mich erzogen hätten.
War er wieder einmal mißhandelt worden, so weinte er bitterlich und schwor, er werde davonlaufen. Aber, sobald er in der Offiziersmesse ein Glas Branntwein bekommen hatte, geriet er wieder in eine übertriebene Ausgelassenheit oder in Schlimmeres und spottete über meine Ermahnungen.
Mr. Riach – Gott verzeihe es ihm – war es, der dem Jungen Schnaps zu trinken gab. Er meinte es gewiß gut, aber abgesehen davon, daß es Ransomes Gesundheit untergrub, war es erbarmungswürdig mitanzusehen, wie dieses unglückliche, von allen verlassene Geschöpf dann taumelte, umhertanzte und krauses Zeug zusammenredete. Einige Matrosen lachten über ihn, andere wieder bekamen finstere Mienen – vielleicht dachten sie an ihre eigene Jugend oder an ihre Kinder daheim – und befahlen ihm streng, mit dem Unfug aufzuhören und sich zu überlegen, was er da tue. Ich selber schämte mich, ihm zuzusehen, und noch heute erscheint mir der arme Junge manchmal in Angstträumen.
Es muß noch erwähnt werden, daß die »Covenant« während dieser ganzen Zeit mit Gegenwinden zu kämpfen hatte und vom hohen Seegang hin und her geschleudert wurde. Die Luke im Vorderkastell mußte daher fast ständig geschlossen bleiben, der Raum wurde nur von einer am Decksbalken schwankenden Laterne schwach erleuchtet. Die Matrosen hatten alle Hände voll zu tun, denn die Segel mußten Stunde um Stunde gesetzt oder gerefft werden. Dabei wurden die Männer mißmutig und launisch, und der Streit und Hader von einer Koje zur anderen nahm den lieben langen Tag kein Ende. Mir war es verboten, den Fuß an Deck zu setzen. Man kann sich also vorstellen, wie überdrüssig ich dieses Leben wurde und wie ungeduldig ich eine Änderung herbeisehnte.
Diese Änderung sollte nicht lange auf sich warten lassen, und der Leser wird hören, wie sie zustande kam.
Zuerst muß ich aber von einem Gespräch berichten, das ich mit Mr. Riach geführt hatte und das mir geholfen hat, mein Los weiter zu tragen.
Ich erwischte einen günstigen Augenblick, als er gerade wieder betrunken war; denn nüchtern kümmerte er sich nicht um mich. Nachdem er mir Verschwiegenheit zugesichert hatte, vertraute ich ihm meine
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