Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
werden. Mußt dich halt aufrappeln. Hast du was gegessen? Willst du ein bißchen Fleisch haben?«
Ich sagte ihm, daß der bloße Gedanke, etwas zu essen, mir widerlich sei. Er gab mir in einer Teeschale einen Schluck mit Wasser verdünnten Branntwein. Dann ging er und ließ mich wieder allein.
Als er das nächstemal kam, lag ich halb betäubt da und starrte mit weitgeöffneten Augen in die Dunkelheit. Mir war zwar nicht mehr übel, aber die Seekrankheit hatte einem entsetzlichen Schwindel, dem Gefühl des Hinundherschwankens, Platz gemacht, was fast noch schwerer zu ertragen war als der Brechreiz. Überdies schmerzten alle Glieder, und die Taue, mit denen ich gefesselt war, schnitten ins Fleisch; es brannte wie Feuer. Der Gestank in dem Loch, in dem ich lag, schien zu einem Teil von mir selber geworden. Außerdem hatte ich in der langen Zeit, seitdem mein Samariter mich verlassen hatte, Qualen der Angst ausgestanden, erstens vor den Ratten, die mir zuweilen über das Gesicht liefen, und dann vor den Einbildungen, wie sie den Fiebernden manchmal heimsuchen.
Daher kam mir, als die Luke geöffnet wurde, der Laternenschein wie himmlisches Sonnenlicht vor, und obwohl ich die dicken festen Schiffsbalken in meinem Gefängnis nun deutlich sehen konnte, hätte ich am liebsten vor Freude laut aufgeschrien.
Der Mann mit den grünen Augen kletterte als erster die Leiter herunter, und ich merkte jetzt auch, daß sein Gang etwas unsicher war. Er schwankte seltsam hin und her. Der Kapitän folgte ihm. Keiner von beiden sagte etwas, aber der Mann mit dem blonden Wuschelkopf machte sich daran, mich erneut zu untersuchen und, wie beim erstenmal, die Wunde zu reinigen. Hoseason musterte mich mit seltsam finsteren Blicken.
»Nun seht Ihr es ja selbst«, sagte mein Retter, »er hat hohes Fieber; es ist finster hier, er hat keinen Appetit und will nichts essen. Ihr wißt ja genau, wohin das führt.«
»Ich bin kein Zauberer, Mr. Riach«, sagte der Kapitän.
»Dann gebt mir freie Hand, Sir. Ihr habt zwar einen schlauen Kopf und eine gewandte schottische Zunge, aber ich gestatte Euch keinerlei Ausflüchte. Ich will, daß der Junge aus diesem Loch heraus und ins Vorderkastell kommt.«
»Was Ihr wollt, Sir, ist ausschließlich Eure Angelegenheit«, antwortete der Kapitän, »aber ich sage Euch, was zu geschehen hat. Hier ist der Junge und hier bleibt er!«
»Zugegeben, daß Ihr entsprechend dafür bezahlt worden seid«, erwiderte der Blonde, »dennoch möchte ich in aller Bescheidenheit bemerken, daß ich ja nichts davon bekommen habe. Ich muß mich mit meinem Sold zufriedengeben, und das ist wenig genug für den Zweiten Offizier auf diesem alten Kahn, und Ihr wißt am besten, daß ich meinen Dienst gut versehe. Dafür werde ich bezahlt, und für nichts anderes.«
»Wenn Ihr die Finger vom Branntwein lassen könntet, Mr. Riach, hätte ich über Euch nicht zu klagen«, antwortete der Schiffer, »aber anstatt mir hier Rätsel aufzugeben, tätet Ihr besser daran, Euren kostbaren Odem zu sparen, um den Haferbrei damit kühl zu blasen, wenn er zu heiß ist, sofern ich mir diesen Rat erlauben darf. Wir werden an Deck gebraucht!« fügte er barsch hinzu und setzte den Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter.
Aber der mit Mr. Riach Angeredete hielt ihn am Ärmel fest.
»Zugegeben, daß Ihr für eine Mordtat bezahlt wurdet ...«, begann er von neuem.
Hoseason fuhr scharf herum.
»Was soll das?« rief er. »In was für einem Ton sprecht Ihr mit mir!«
»In dem Ton, den Ihr einzig und allein verstehen könnt«, versetzte Mr. Riach und blickte dem Kapitän furchtlos ins Gesicht.
»Mr. Riach, wir haben drei Seereisen zusammen gemacht«, unterbrach ihn Hoseason, »das müßte für Euch ausreichen, um mich zu kennen. Ich bin ein harter Mann und habe einen eisernen Willen. Aber was Ihr mir da unterstellt – pfui Teufel! – das kommt aus einem bösen Herzen und einem schlechten Gewissen. Wenn Ihr etwa meint, der Junge könnte hier unten sterben ...«
»Ja, das meine ich«, sagte Mr. Riach trocken.
»Na, das genügt doch. Bringt ihn unter, wo Ihr wollt.« Und mit diesen Worten wandte sich der Kapitän ab und kletterte die Leiter wieder hoch.
Während dieses merkwürdige Gespräch stattfand, hatte ich ganz still dagelegen und beobachtete jetzt, wie Mr. Riach ihm nachsah und sich, offensichtlich spöttisch, bis zum Erdboden vor ihm verneigte.
So jämmerlich und elend ich mich fühlte, zwei Dinge waren mir klargeworden: Der Schiffsmaat war
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