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Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)

Titel: Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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zwar betrunken, wie es der Kapitän angedeutet hatte, aber – nüchtern oder nicht – er würde sich für mich zweifellos als ein unschätzbarer Freund erweisen.
    Fünf Minuten später waren meine Fesseln durchschnitten. Jemand nahm mich auf seinen Rücken und trug mich die Leiter hinauf zum Vorderkastell. Ich wurde in einer Koje auf ein paar Decken gelegt, und als nächstes schwanden mir wieder einmal die Sinne.
    Als ich lange Zeit danach die Augen öffnete, war es schon trostreich, ins Helle blicken zu können und zu sehen, daß ich von Menschen umgeben war.
    Das Vorderkastell war ziemlich geräumig. Überall waren Schlafkojen angebracht, auf denen die dienstfreien Matrosen hockten und ihre Pfeife schmauchten oder sich zum Schlafen ausgestreckt hatten.
    Da das Wetter jetzt ruhig war und der Sturm sich gelegt hatte, waren die Luken geöffnet worden, und nicht nur freundliches Tageslicht schien herein, sondern von Zeit zu Zeit, je nach dem Schwanken des Schiffes, stahl sich ein Sonnenstrahl, der mich zugleich blendete und beglückte, bis zu mir. Kaum hatte ich mich bewegt, als mir schon einer der Männer einen stärkenden Trank brachte, den Mr. Riach für mich bereitet hatte. Der Matrose befahl mir, ganz still liegenzubleiben, und sagte, bald würde ich wieder gesund sein.
    »Du hast dir nichts gebrochen«, tröstete er mich, »du hast nur einen tüchtigen Schlag auf den Kopf bekommen, der schadet dir nichts – ich habe ihn dir gegeben.«
    Da lag ich nun tagelang, streng bewacht, ein Gefangener. Aber langsam genas ich, und ich lernte meine Gefährten kennen. Sie stammten aus allen möglichen Berufen, waren auf wilden Meeren zusammengewürfelt worden, und ihre Herren waren nicht weniger roh und grausam als sie selber. Ein paar befanden sich unter ihnen, die auf Piratenschiffen gewesen waren und Dinge miterlebt hatten, bei denen man erröten mußte, wenn man sie nur aussprach. Einige von ihnen waren aus der königlich-britischen Marine desertiert; sie gingen mit einem unsichtbaren Strick um den Hals umher und verhehlten dies keineswegs. Allesamt waren sie, wie man so sagt, rauhe Gesellen: soeben noch gut Freund, im nächsten Augenblick schon in wüstem Streit miteinander, der oft in Schlägereien ausartete.
    Ich war aber noch nicht lange Zeit mit ihnen zusammen, als ich mich schon meines ersten Eindrucks zu schämen begann – damals am Pier, als ich mich wie vor bösen Tieren von ihnen ferngehalten hatte. Die Menschen sind niemals ganz böse; jeder hat seine Fehler und seine Tugenden. Meine neuen Schiffskameraden bildeten keine Ausnahme von dieser Regel; gewiß, es waren grobe Burschen, und viele von ihnen waren wohl auch wirklich schlechte Kerle. Doch sie hatten auch manche guten Eigenschaften; sie konnten, wenn es ihnen einfiel, sehr gutmütig sein. Sie waren noch einfältiger als ich einfältiger Bauernbursche, aber sie verrieten auch Ansätze von Rechtschaffenheit.
    Einer war dabei, ein etwa vierzigjähriger Mann, der stundenlang neben meiner Koje sitzen und mir von seiner Frau und seinen Kindern erzählen konnte. Er war ursprünglich Fischer gewesen, hatte sein Boot verloren und war dadurch gezwungen worden, zur See zu fahren. Das ist nun so viele Jahre her, doch ich habe ihn nie vergessen können. Seine Frau, die, wie er mir oft erzählte, viel jünger gewesen war als er, wartete bereits seit endlos langer Zeit vergeblich auf seine Rückkehr. Nie wieder würde er des Morgens für sie das Herdfeuer anzünden oder das Kleine warten, wenn sie krank war.
    Ja, viele dieser Menschen befanden sich in der Tat, wie die Zukunft zeigen wird, auf ihrer letzten Fahrt. Das Meer und die menschenfressenden Fische erwarteten sie, und es scheint mir eine undankbare Sache, Toten Übles nachzureden.
    Unter anderen Wohltaten, die sie mir erwiesen haben, muß ich erwähnen, daß sie mir mein Geld zurückgaben, das sie bereits untereinander aufgeteilt hatten. Es fehlte zwar ein Drittel der Summe, aber ich war froh, das übrige zurückzubekommen, und erwartete in dem Lande, dem wir zustrebten, wahre Wunder davon.
    Das Schiff fuhr nach Carolina, und ich meinte keineswegs nur als Verbannter dorthin zu gehen. Der Handel mit Menschenfleisch lag zu der Zeit danieder, und nach dem Aufstand der Kolonien und der Gründung der Vereinigten Staaten kam er gänzlich zum Erliegen; aber damals, in meiner Jugendzeit, wurden auch Weiße als Sklaven an die Plantagenbesitzer verkauft, und das war das Schicksal, das mein verruchter Oheim mir zugedacht

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