Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
weiter draußen lag, als ich in der Erinnerung hatte. Ein drittes Mal stieg ich also ins Wasser. Der Sand unter meinen Füßen war fein und fest, und es ging sehr langsam abwärts, so daß ich eine ganze Strecke waten konnte, bevor mir das Wasser etwa bis zum Hals reichte und mir kleine Wellenspritzer ins Gesicht flogen; nun verlor ich den Boden unter den Füßen und wagte mich nicht weiter hinaus. Die Rahe schaukelte gemächlich in einer Entfernung von ungefähr zwanzig Fuß vor mir auf den Wellen.
Bis zu dieser neuen Enttäuschung hatte ich mich ganz wacker gehalten. Als ich aber jetzt ans Ufer zurückkam, warf ich mich in den Sand und brach in Tränen aus.
Der Gedanke an die Zeit, die ich auf der Insel verbracht habe, ist mir heute noch so schrecklich, daß ich nicht viel darüber sagen möchte. In allen Büchern, in denen ich Geschichten von Gestrandeten gelesen hatte, steckten die Taschen dieser Leute voller Handwerkszeug, oder eine Truhe mit solchen Dingen wurde zusammen mit ihnen an den Strand gespült, als müßte das so sein. Mein Fall lag ganz anders. Ich hatte nur etwas Geld und Alans silbernen Knopf in der Tasche, und da ich im Inland aufgewachsen war, kannte ich mich mit irgendwelchen Hilfsmitteln nicht aus und hatte auch keine.
Ich wußte natürlich, daß man Muscheln essen konnte; ich fand auch eine Menge sogenannter Tellermuscheln, die ich aber zuerst nicht fangen konnte, denn mir war nicht bekannt, daß man dabei flink zu Werke gehen mußte. Außerdem gab es noch eine kleinere Sorte, die wir Herzmuscheln nennen; ich glaube, sie heißen in Wirklichkeit Uferschnecken. Daraus bestand meine Nahrung, und obwohl ich sie roh und kalt, wie ich sie fand, hinunterschlang, kamen sie mir köstlich vor.
Vielleicht waren sie um diese Jahreszeit nicht genießbar, vielleicht war auch etwas mit dem Seewasser nicht in Ordnung, denn kaum hatte ich meine erste Muschelmahlzeit verzehrt, als mir übel und schwindlig wurde und ich mich erbrechen mußte. Eine Zeitlang lag ich mehr tot als lebendig im Sand. Ein zweiter Versuch mit der gleichen Nahrung – denn etwas anderes hatte ich ja nicht – gelang besser und brachte mich wieder etwas zu Kräften. Aber solange ich auf der Insel war, wußte ich bei keiner Mahlzeit, was mir bevorstand. Manchmal ging alles gut, ein andermal wurde mir wieder schrecklich übel, jedoch habe ich nicht feststellen können, welche Muschelart mir nicht bekommen war.
Es goß den ganzen Tag. Das Eiland troff vor Nässe, und es gab nirgends einen trockenen Fleck. Als ich mich am Abend zwischen zwei etwas vorspringenden Felsblöcken ausstreckte – sie bildeten über mir eine Art Dach –, lagen meine Füße im Sumpf.
Am zweiten Tage durchstreifte ich die Insel nach allen Richtungen. Aber es war immer das gleiche, und nirgends sah es anders aus. Überall war es öde und steinig. Kein lebendes Wesen war zu entdecken, ausgenommen ein paar Wildvögel. Doch ich hatte keine Möglichkeit, sie zu erlegen, ebensowenig die Möwen, die in großen Scharen die Felsen nach der Seeseite zu bevölkerten. Aber der Wasserlauf oder Kanal, der die Insel von dem Roß genannten Teil des Festlandes trennt, erweiterte sich im Norden zu einer Bucht, und diese Bucht wiederum mündete in den Iona Sund. In der Nähe dieser Stelle suchte ich mir meine Unterkunft. Wenn ich allerdings die Bezeichnung »Unterkunft« mit diesem trostlosen Erdenfleck in Verbindung brachte, sind mir oft die Tränen gekommen.
Ich hatte aber für meine Wahl gute Gründe. In diesem Teil der Insel lag eine Hütte, nicht größer als ein Schweinekoben, wo die Fischer geschlafen haben mochten, wenn sie hier ihrem Beruf nachgingen. Das Moosdach war allerdings gänzlich eingestürzt, so daß mir die Hütte nichts nützen konnte; sie bot mir weniger Schutz als meine beiden Felsblöcke. Aber was wichtiger war, Tellermuscheln, meine Hauptnahrung, gab es da in Hülle und Fülle. Während der Ebbe machte ich mich daran und sammelte gleich eine ganze Menge auf einmal. Das war zweifellos sehr angenehm, aber meine Wahl hatte noch einen tieferen Grund. Ich konnte mich nämlich in keiner Weise an die gräßliche Einsamkeit auf der Insel gewöhnen, sondern sah mich immer wie ein gehetztes Wild nach allen Seiten um, stets in Furcht und Hoffnung zugleich, es könnte ein lebendes Wesen auftauchen. Von den Hügeln über der Bucht aus konnte ich jedoch das Dach der großen alten Kirche und die Dächer der Häuser von Iona erspähen. Auf der anderen Seite hatte ich
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