Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
aufgesucht wurde. Zwar blieb ich, wenn ich nicht gerade schlief, nie lange dort oben, denn mein Elend ließ mich nicht zur Ruhe kommen; ich machte mich vielmehr durch ständiges zielloses Umherlaufen immer noch müder und kränker.
Sobald aber die Sonne schien, streckte ich mich auf jener Felsenklippe aus, um wenigstens trocken zu werden. Ich vermag keinem Menschen zu sagen, wie trostreich die Sonne sein kann. Wenn ich wieder einmal der Verzweiflung nahe war, schöpfte ich im Sonnenschein immer von neuem Hoffnung, doch noch gerettet zu werden, und jedesmal durchforschten meine Blicke dann mit neuerwachtem Lebenswillen das Meer und die Landschaft.
Südlich von meinem Felsen sprang eine Landzunge vor und verhinderte den Ausblick auf das Meer, so daß dort ein Boot ziemlich nahe herankreuzen konnte, ohne von mir bemerkt zu werden.
Plötzlich schoß ein Fischerboot mit braunem Segel und mit zwei Männern an Bord in Richtung auf Iona um die Landspitze herum. Ich schrie laut auf und sank in die Knie, warf die Arme in die Luft und erflehte schreiend ihre Hilfe. Sie waren nahe genug, um mich zu hören – ich konnte ihre Haarfarbe erkennen –, und sie hatten mich ohne Zweifel auch gesehen, denn sie riefen mir auf gälisch etwas zu, und dabei lachten sie. Aber das Boot behielt seinen Kurs bei und entfernte sich vor meinen entsetzten Blicken rasch in Richtung auf Iona.
Ich konnte mir eine solche Bosheit einfach nicht erklären und stolperte, jämmerlich schreiend, von einer Felsenklippe zur anderen. Sie waren schon längst außer Hörweite, da rief und winkte ich immer noch. Als ich sie schließlich nicht mehr sehen konnte, glaubte ich, das Herz müsse mir brechen. Während der ganzen schrecklichen Zeit auf der Insel Earraid habe ich nur zweimal geweint, das erstemal, als ich die Rahe nicht zu fassen bekam, und das zweitemal in dem Augenblick, als die Fischer meine Schreie ungehört verhallen ließen. Diesmal weinte und brüllte ich wie ein ungezogenes Kind, riß mit den Händen ganze Grasbüschel aus und vergrub mein Gesicht ins Erdreich. Wenn ein Wunsch töten könnte, dann hätten diese beiden Fischer den morgigen Tag nicht erlebt; allerdings wäre ich dann vermutlich auf der Insel gestorben.
Als sich mein Zorn ein wenig gelegt hatte, mußte ich wieder etwas zu mir nehmen, tat es aber mit solchem Widerwillen vor dem ekelhaften Zeug, daß ich es kaum hinunterwürgen konnte. Ich hätte wohl lieber fasten sollen, denn die Muscheln vergifteten mich von neuem ganz und gar; es erging mir schlechter als beim erstenmal. Der Hals tat mir so weh, daß ich kaum schlucken konnte; ich bekam einen heftigen Schüttelfrost; meine Zähne schlugen aufeinander; und dann überwältigte mich ein so schrecklicher Brechreiz, daß ich heute dafür weder in der englischen noch in der schottischen Sprache einen angemessenen Namen finden kann. Ich war überzeugt, daß ich sterben müßte, und machte meinen Frieden mit Gott und den Menschen, verzieh allen, die mir Übles getan hatten, sogar meinem Oheim Ebenezer und den beiden Fischern. Nachdem ich auf diese Weise reinen Tisch gemacht und mich auf das Schlimmste vorbereitet hatte, wurde mir besser. Ich konnte wieder klar denken. Es schien eine regenfreie Nacht zu werden. Meine Kleider waren ganz gut abgetrocknet, und ich war in einer besseren Verfassung als zu irgendeiner anderen Zeit, seitdem ich auf die Insel verschlagen worden war. Mit fast dankbaren Gefühlen schlief ich endlich ein.
Am nächsten Tage, dem vierten dieses trostlosen Daseins, war ich zwar körperlich sehr geschwächt, aber die Sonne schien, und die paar Muscheln, die ich nach einigem Zögern hinunterbrachte, bekamen mir, so daß mein Mut erwachte und meine Stimmung sich hob.
Kaum war ich wieder auf meinem Felsen, zu dem ich immer zurückkehrte, sobald ich etwas genossen hatte, da entdeckte ich ein Segelboot, das auf dem Sund entlangglitt und offenbar direkt auf mich zusteuerte.
Furcht und Hoffnung übermannten mich gleichzeitig, denn ich dachte, die beiden Fischer hätten ihr rohes Benehmen bereut und kämen nun, um ihre Missetat wiedergutzumachen. Noch eine solche Enttäuschung wie die gestrige hätte ich wohl nicht überlebt. Daher drehte ich entschlossen dem Meer den Rücken zu und wandte mich erst wieder um, nachdem ich mehrmals bis hundert gezählte hatte. Noch immer hielt das Boot Kurs auf die Insel. Nun zählte ich, so langsam es ging, bis tausend, und mein Herz schlug dabei zum Zerspringen. Aber als ich mich jetzt
Weitere Kostenlose Bücher