Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
und unterstrich zuweilen mit dem Finger eine bestimmte Stelle. Seine änständige dunkle, wenn auch schlichte Kleidung ließ auf einen Kleriker schließen.
Bald stellte ich fest, daß der Mann ebenfalls Katechet war, aber von einer ganz anderen Sorte als der blinde Raufbold auf der Insel Mull. Er gehörte zu den Predigern, die von der Edinburgher Gesellschaft zur Verbreitung des Christentums ausgesandt waren, um das Evangelium in den wilden Gebieten des Hochlandes zu verkünden. Sein Name war Henderland, und er sprach in der breiten Mundart des Südens, nach deren Klang ich schon oft recht große Sehnsucht gehabt hatte. Es erwies sich, daß wir nicht nur Landsleute waren, sondern uns noch etwas anderes verband. Mein väterlicher Freund, der Geistliche von Essendean, hatte seinerzeit eine Anzahl Hymnen und fromme Bücher in die gälische Sprache übertragen, und Henderland verwendete bei seiner Arbeit diese Übersetzungen. Ja, als wir uns trafen, hielt er eines dieser Bücher in der Hand und las eifrig darin.
Da wir bis Kingairloch denselben Weg hatten, beschlossen wir, gemeinsam weiterzuziehen. Unterwegs blieb er jedesmal stehen, wenn wir einem Wanderer begegneten oder ihn überholten, und unterhielt sich mit den Leuten. Obwohl ich natürlich nicht verstehen konnte, was sie sagten, merkte ich doch, daß Mr. Henderland in dieser Gegend recht beliebt sein mußte, denn ich beobachtete, wie viele von ihnen ihre Schnupftabaksdosen vorholten und dem Katecheten eine Prise anboten.
Soweit ich es für ratsam hielt und es Alan nicht berührte, erzählte ich ihm, was mich hierhergeführt hatte und was ich plante. Ich sagte auch, daß ich in Balachulish einen Freund besuchen wollte. Von Aucharn oder Duror zu sprechen schien mir zu gefährlich, weil ich fürchtete, der Katechet könne dann meine wahren Absichten erraten. Er hingegen erzählte mir viel von seiner Arbeit und von den Leuten, mit denen er zusammenkam. Er berichtete auch von Priestern, die sich verbergen mußten, von Jakobiten, vom Waffenverbot, von den Schwierigkeiten mit der Kleidung und von vielen anderen seltsamen Dingen, die zu dieser Epoche und zu diesem Lande gehörten.
Politisch schien er gemäßigt, tadelte in vielen Punkten das Parlament, besonders, weil das Gesetz in bezug auf die Nationaltracht strenger gehandhabt wurde als das Waffenverbot.
Seine maßvolle Art brachte mich auf den Einfall, ihn nach dem Roten Fuchs und nach den Pächtern im Lande Appin zu fragen. Mir schien, daß diese Neugier bei jemand, der das Land zum erstenmal bereist, ganz natür1ich wirken mußte.
Das sei eine schlimme Geschichte, meinte mein Begleiter und fügte hinzu: »Es ist rätselhaft, woher die Pächter das Geld nehmen, denn sie sind Hungerleider ... Habt Ihr wohl zufällig ein wenig Schnupftabak bei Euch, Mr. Balfour«, unterbrach er sich. »Nein? Na, es ist wohl auch besser, wenn ich ihn mir versage. Ja, also, die Pächter, wie ich eben sagte, tun das wohl zum Teil nur gezwungen. James Stuart in Duror, der auch James of the Glens genannt wird, ist der Halbbruder des Clanhäuptlings Ardshiel. Der Mann ist sehr angesehen und übt einen Druck auf die Bauern aus. Und dann ist da noch ein anderer, der heißt Alan Breck ...«
»Ach«, rief ich, »was ist mit dem?«
»Wie ist das mit dem Wind, der weht, wohin er will?« sagte Henderland. »Der Mann ist überall und nirgends, heute da und morgen dort, eine richtige Heidekatze. Wenn der jetzt aus dem Heidekraut da drüben zu uns herüberstarrte, würde ich mich gar nicht wundern ... Ihr habt wohl nicht eine Prise Schnupftabak bei Euch, he?«
Ich verneinte mit dem Hinweis, daß er mich schon mehrmals danach gefragt hätte.
»Ich glaub Euch schon«, meinte er und seufzte ein wenig, »aber es ist doch komisch, daß Ihr keinen habt ... Also, wie ich eben sagte, dieser Alan Breck ist ein tollkühner Geselle. Alle Welt weiß, daß er die rechte Hand von James of the Glens ist. Er hat sein Leben schon verwirkt, aber der schreckt vor nichts zurück. Gut möglich, daß er hin und wieder einem Pächter, der bei ihm im Rückstand ist, einen Dolch in die Rippen stößt.«
»Ihr erzählt ja schöne Geschichten, Mr. Henderland. Wenn beide Seiten nur Angst voreinander haben, will ich lieber nichts davon hören«, erwiderte ich.
»Nicht nur Angst«, sagte der Katechet, »auch Liebe und Selbstverleugnung sind dabei, ja so viel, daß Leute wie Ihr und ich schamrot werden müßten. Es ist schon etwas Erhabenes an dieser Sache; nicht in
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