Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
christlichem Sinne, meine ich, aber in rein menschlichem Sinne ist es erhaben. Sogar Alan Breck ist, nach allem, was man sich von ihm erzählt, ein Schildknappe, ein Mann, den man achten muß. So mancher heuchlerische Feigling hat hierzulande seinen festen Platz in der Kirche und gilt viel vor den Augen der Welt, aber vielleicht ist er ein weit schlechterer Mensch, Mr. Balfour, als dieser irregeleitete Mann, der so viel Blutvergießen verschuldet hat. Ja, ja, von dem könnten wir christlichen Leute noch allerhand lernen.«
Lächelnd fügte Henderland hinzu: »Ihr werdet vielleicht denken, ich sei schon allzu lange im Hochland.«
Ich antwortete, das sei nicht meine Meinung, denn ich selber hätte im Hochland viel Bewundernswertes gesehen, und schließlich sei Mr. Campbell ja auch ein Hochländer.
»Das ist wahr«, sagte mein Begleiter, »und er stammt aus einem edlen Geschlecht.«
»Wie ist das eigentlich mit dem Verweser des Königs?« fragte ich.
»Meint Ihr Colin Campbell?« erwiderte Henderland. »Nun, der hat seinen Kopf in ein Wespennest gesteckt.«
»Er soll doch die Pächter gewaltsam vertrieben haben«, bemerkte ich.
»Das stimmt«, bestätigte der Katechet, »aber die Sache ist ins Stocken geraten. Zuerst ist James of the Glens nach Edinburgh geritten und hat einen Advokaten betraut, gewiß einen Stuart, denn die halten zusammen wie Pech und Schwefel; der hat dafür gesorgt, daß die Sache nicht weiterging. Doch dann fing Colin Campbell wieder von vorn an. Er setzte sich bei den Baronen vom Schatzamt durch, und wie man mir erzählt hat, sollen schon morgen die ersten Pächter rausfliegen. In Duror, direkt unter der Nase von James of the Glens, soll damit angefangen werden, was nach meiner unmaßgeblichen Meinung nicht gerade sehr geschickt ist.«
»Glaubt Ihr, daß es zu einem Kampf kommen wird?« fragte ich.
»Je nun«, sagte Henderland, »sie sind zwar entwaffnet – man glaubt es wenigstens –, doch es liegt noch genug kaltes Eisen an verborgenen Stellen. Aber Colin Campbell soll Soldaten angefordert haben. Nun, wie dem auch sei, wenn ich seine Frau wäre, hätte ich keine Ruhe, ehe er wieder daheim ist. Die AppinStuarts sind wilde Gesellen.«
Ich fragte, ob sie gefährlicher seien als andere.
»Nein«, sagte Henderland, »das ist ja das schlimmste dabei. Wenn es Colin auch gelingen sollte, in Appin seinen Willen durchzusetzen, dann kann er im Nachbardistrikt – Mamore heißt er und gehört zum Besitz der Camerons – wieder von vorn beginnen. Er ist Verweser des Königs in beiden Distrikten und muß aus beiden die Pächter vertreiben. Um ganz ehrlich zu sein, Mr. Balfour, er wird, wenn er den einen entwischen sollte, von den anderen totgeschlagen werden.«
So redeten wir, während wir weiterwanderten, den ganzen Tag miteinander. Schließlich, nachdem Mr. Henderland mir versichert hatte, meine Gesellschaft sei ihm angenehm und er freue sich, einen Freund von Mr. Campbell getroffen zu haben – ich möchte ihn »den süßen Sänger unseres verheißenen Zion« nennen, sagte er –, schlug mir der freundliche Mann vor, in seinem kleinen Hause gleich hinter Kingairloch kurze Rast zu machen und die Nacht bei ihm zu verbringen. Ich war, ehrlich gesagt, überglücklich, denn ich hatte keine rechte Lust, zu John of Claymore zu gehen. Seit dem zwiefachen Mißgeschick mit meinem Führer und später mit dem Schiffer Colin Roy, dessen Vorfahren Edelleute gewesen waren und der sich ebenfalls als Edelmann zu erkennen gegeben hatte, graute mir ein wenig vor jedem fremden Hochländer.
Wir bekräftigten unsere Abmachung durch Handschlag und langten nachmittags bei dem kleinen Hause an, das einsam am Loch Linnhe stand.
Die Sonne war schon hinter den kahlen Bergen von Argdour gesunken, aber noch fielen ihre Strahlen auf die Appinhügel und das ferne Land. Der Loch Linnhe lag still da wie ein See. Nur die Möwen kreischten ringsumher. Die Landschaft sah erhaben und etwas unheimlich aus.
Kaum waren wir an der Tür zu Mr. Henderlands Behausung angelangt, als er zu meiner Überraschung – denn ich war an das zuvorkommende Benehmen der Hochländer gewöhnt – unhöflich an mir vorbeischoß, ins Zimmer stürzte, eine Dose und einen kleinen Hornlöffel ergriff und sich Schnupftabak in ungewöhnlichen Mengen in die Nase stopfte. Dann begann er herzhaft zu niesen und schaute sich schließlich töricht lächelnd nach mir um.
»Es ist ein Gelübde«, sagte er, »ich habe mir gelobt, keinen Schnupftabak bei mir zu
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