Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
tragen. Natürlich fällt es mir schwer, ihn zu entbehren, aber wenn ich an die Märtyrer denke nicht nur an die schottischen Covenanter, sondern an die vielen in anderen christlichen Ländern, dann schäme ich mich, diese Schwäche auch nur zu erwähnen.«
Sobald wir gegessen hatten – das Nachtmahl des wackeren Mannes bestand aus Haferbrei und Molke –, bekam mein Gastgeber einen ernsten Gesichtsausdruck und meinte, er müsse Mr. Campbell zuliebe wissen, wie ich mit unserem Herrgott stünde. Seit der Szene mit dem Schnupftabak neigte ich dazu, ein wenig über meinen neuen Freund zu lächeln. Aber er hatte noch gar nicht viel gesagt, da traten mir unwillkürlich die Tränen in die Augen. Zwei Dinge, sagte er, sollten die Menschen nie außer acht lassen: gut zu sein und demütig! Von beidem könnten wir in dieser rauhen Welt voller hartherziger Menschen nie genug haben. Und Mr. Henderland fand dafür so herzbewegende Worte, daß ich trotz meiner Abenteuer, auf die ich mir soviel einbildete, weil ich sie sozusagen mit fliegenden Fahnen überstanden hatte, meine Eitelkeit bezwang und neben dem schlichten alten Manne in die Knie sank; ich war glücklich darüber und zugleich stolz darauf.
Bevor wir schlafen gingen, bot der Katechet mir als Wegzehrung einen halben Shilling von der bescheidenen Summe an, die er in der mit Gras verstopften Wand seines Häuschens aufbewahrte. Ich wußte nicht, wie ich mich bei diesem Übermaß an Freigebigkeit und Herzensgüte verhalten sollte. Aber er redete so ernst und beharrlich auf mich ein, daß es mir besser schien, ihm nachzugeben, und so ließ ich ihn ärmer zurück, als ich selber war.
XVII. Der Rote Fuchs stirbt
Am nächsten Tage machte Mr. Henderland für mich einen Mann ausfindig, der ein eigenes Boot hatte und beim Fischfang am Nachmittag den Loch Linnhe überqueren würde. Er redete dem Fischer nachdrücklich zu, mich mitzunehmen, und da der Mann zu seinen Schäflein gehörte, willigte er ein. Auf diese Weise ersparte ich einen langen Reisetag und die Bezahlung für das Übersetzen in zwei öffentlichen Fährbooten, die ich sonst hätte benutzen müssen.
Es war fast Mittag, als wir aufbrachen, ein düsterer Tag mit dichten Wolken am Himmel, die nur selten aufrissen und für Augenblicke das Sonnenlicht durchließen. Der Meeresarm, über den wir fuhren, war sehr tief, sehr glatt und völlig ruhig. Ich mußte mir die Lippen netzen, um mich zu überzeugen, daß es wirklich Seewasser war. Die Berge zu allen Seiten waren rauh, schwarz und kahl, ja, sie wirkten unter den Wolkenschatten noch düsterer und schwärzer, waren aber alle von kleinen Flußläufen wie von silbernen Bändern durchzogen, die aufblitzten, sobald die Sonne sie beschien. Ein rauhes unwirtliches Land, dieses Appin, und es kam mir erstaunlich vor,. daß Alan und so viele andere Menschen es so sehr liebten.
Eines muß noch erwähnt werden. Bald nachdem wir aufgebrochen waren, schien die Sonne auf eine Gruppe von Menschen, die sich längs des einen Ufers fortbewegte; sie schimmerte rötlich, es war das Rot der britischen Soldatenröcke. Hin und wieder blitzte es auf wie blanker Stahl.
Ich fragte den Bootsführer, was das wohl sein mochte, und er meinte, es müßten Rotröcke dort marschieren, die, von Fort William kommend, ins Appin-Gebiet einrückten, um gegen die armen Pächter eingesetzt zu werden.
Für mich war das ein betrüblicher Anblick. Hing es nun damit zusammen, daß meine Gedanken sich mit Alan beschäftigten, oder war es eine Vorahnung, die mich bedrückte? Jedenfalls empfand ich gegen König Georgs Truppen, obgleich ich sie erst zum zweitenmal zu Gesicht bekam, eine ausgesprochene Abneigung.
Schließlich kamen wir so nahe an die Landspitze heran, wo der Loch Leven beginnt, daß ich bat, abgesetzt zu werden. Mein Bootsführer, der ein ehrlicher Bursche war und sein dem Katecheten gegebenes Versprechen halten wollte, hätte mich am liebsten bis Balachulish gebracht. Da mich das jedoch von meinem geheimgehaltenen Bestimmungsort weiter entfernt hätte, beharrte ich darauf, hier auszusteigen, und erreichte es schließlich auch, daß er unterhalb des beginnenden Waldes von Lettermore anlegte (dieser Ort wurde zuweilen auch Lettervore genannt, jedenfalls habe ich beide Bezeichnungen erwähnen hören).
Der Birkenwald zog sich an einer steilen, zerklüfteten Bergwand hoch, die über dem Loch emporragte. Viele Schluchten und mit Farnkraut überwucherte Einschnitte durchzogen kreuz und quer den
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