Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Austausch von Höflichkeiten hatten wir keine Zeit.
»Komm, komm!« rief er und setzte sich in Richtung auf Balachulish, am Berghang entlang, in Trab. Ich folgte ihm wie ein braves Schaf.
Bald liefen wir zwischen den Birkenstämmen weiter, bald duckten wir uns hinter niedrigen Bodenerhebungen, bald glitten wir an einem Hang entlang, bald krochen wir auf allen vieren zwischen dem Heidekraut weiter. Das Tempo, das Alan anschlug, war mörderisch. Mein Herz schlug zum Zerspringen. Es hämmerte schmerzhaft gegen die Rippen. Mir blieb keine Zeit, Atem zu holen, geschweige denn, ein Wort zu sagen. Ich erinnere mich nur, daß Alan sich zu meiner großen Verwunderung gelegentlich in seiner vollen Größe aufrichtete, um sich umzuschauen, und daß dann jedesmal aus der Ferne ein lautes Jubelgeschrei der Soldaten zu hören war.
Nach einer Viertelstunde hielt Alan inne, warf sich zwischen dem Heidekraut flach auf den Boden, wandte mir den Blick zu und keuchte:
»Jetzt wird es Ernst. Mach alles genauso wie ich. Es geht um unser Leben.«
Und im gleichen Tempo, aber viel vorsichtiger als bisher, liefen wir auf demselben Wege, den wir eben gekommen waren, wieder zurück, vielleicht ein wenig weiter oben, bis Alan sich im Wald von Lettermore zu Boden fallen ließ, genau dort, wo ich ihn vorhin entdeckt hatte. Das Gesicht in die Heide- und Farnkräuter gepreßt, schnappte er nach Luft wie ein Jagdhund.
Mir tat jede Rippe weh. Alles verschwamm vor meinen Augen. Und als ich zu Tode erschöpft neben ihm niedersank, hing mir die Zunge aus dem Munde. Mir war glühend heiß, und ich hatte entsetzlichen Durst.
XVIII. Im Walde von Lettermore spreche ich mit Alan Breck
Alan erholte sich zuerst. Er stand auf, ging zum Waldrand, spähte ein wenig umher, kam dann zurück und setzte sich.
»Na, David«, sagte er, »das war eine wilde Jagd.«
Ich erwiderte nichts und blickte auch nicht auf.
Eben noch war ich Zeuge eines Mordes gewesen, hatte mit ansehen müssen, wie einem großen, kräftigen, freundlich aussehenden Mann innerhalb von Sekunden das Lebenslicht ausgeblasen worden war. Der erbarmungswürdige Anblick war mir noch zu frisch im Gedächtnis; aber das war nur ein Teil meiner Bedenken. Ein Mann, von dem ich wußte, daß Alan ihn haßte, war ermordet worden, und ausgerechnet jetzt schlich Alan hier zwischen den Bäumen umher und war vor den Soldaten geflohen. Ob der tödliche Schuß nun von ihm abgefeuert worden oder der Befehl dazu von ihm ausgegangen war, blieb sich gleich. So wie ich es sah, hatte der einzige Freund, der mir in diesem wilden Lande geblieben war, eine schwere Blutschuld auf sich geladen. Mir graute vor ihm. Ich konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. Lieber hätte ich wieder im Regen auf meiner eiskalten Insel liegen mögen als hier im schützenden Wald an der Seite eines Mörders.
»Bist du noch so erschöpft?« fragte er.
»Nein«, antwortete ich, hielt aber mein Gesicht weiter im Gestrüpp verborgen. »Nein, ich bin nicht mehr erschöpft, und ich kann auch sprechen«, fuhr ich fort. »Alan, Ihr und ich, wir müssen uns trennen. Ich hatte Euch sehr gern, Alan Breck, aber Eure Wege sind nicht die meinen, und es sind auch nicht Gottes Wege. Was soll ich lange reden? Wir müssen uns trennen.«
»Ich werde mich nicht von dir trennen. David, wenn kein zwingender Grund dazu vorliegt«, sagte Alan sehr ernst. »Wenn du glaubst, etwas zu wissen, was gegen meine Ehre spricht, dann wäre es um unserer Freundschaft willen das wenigste, mir reinen Wein einzuschenken. Wenn du aber eine Abneigung gegen mich gefaßt hast, muß ich selber beurteilen, ob du mich damit beleidigst.«
»Alan«, sagte ich, »was soll das! Ihr wißt sehr gut, daß der Mann namens Campbell drunten am Wege in seinem Blute liegt.«
Er schwieg einen kurzen Augenblick, dann sagte er: »Hast du jemals die Geschichte von dem Mann und den guten Wesen gehört?«
Mit den guten Wesen meinte er Zauberer und Feen.
»Nein«, sagte ich, »und ich will sie auch nicht hören.«
»Wenn du es gestattest, Mr. Balfour, werde ich sie dir doch erzählen. Der Mann, mußt du wissen, war im Meer auf einem Felsen gestrandet; gerade auf diesem Felsen aber rasteten die guten Wesen, wenn sie nach Irland reisten. Der Felsen hat übrigens einen Namen, er heißt der Skerryvore und liegt ganz in der Nähe der Klippen, auf denen wir gestrandet sind. Nun, es scheint, daß dieser Mann bitterlich geweint und sich gewünscht hat, vor seinem Tode sein kleines Kind noch einmal zu
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