Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
sehen, so daß der König der guten Wesen schließlich Mitleid mit ihm hatte und einen Elf schickte, der das Kind in einem Beutel herbeiholte, den er neben den Mann legte, der eingeschlafen war. Als der Mann nun aufwachte, erblickte er den Beutel neben sich, und darin bewegte sich etwas. Na, und siehst du, das war so ein Mensch, der immer das Schlimmste für möglich hielt. Deshalb stieß er, um sicher zu gehen, seinen Dolch in den Beutel, ehe er ihn öffnete; und dann fand er sein totes Kind. Nun, Mr. Balfour, mich dünkt, als hättest du große Ähnlichkeit mit diesem Manne.«
»Wollt Ihr damit sagen, daß Eure Hand nicht dabei im Spiele war?« schrie ich und richtete mich auf.
»Zuerst laß dir von einem Freunde sagen, Mr. Balfour of Shaws«, erwiderte Alan, »daß ich mich wohl hüten würde, einen Edelmann hier in unserer Heimat umzubringen und damit meinem eigenen Clan Ungelegenheiten zu bereiten. Andernfalls hättest du mich auch nicht ohne Degen und Büchse, nur mit einer Angelrute angetroffen.«
»Ja«, gab ich zu, »das ist richtig.«
»Und nun«, fuhr Alan fort, indem er seinen Dolch herauszog und seine Hand auf eigenartige Weise darauflegte, »nun schwöre ich auf diesem heiligen Stahl, daß ich weder mit Rat noch Tat oder auch nur mit einem Gedanken etwas mit dieser Sache zu tun habe.«
»Gott sei’s gedankt!« rief ich und streckte ihm meine Hand entgegen.
Er schien sie nicht zu sehen.
»Zuviel Lärm um einen Campbell«, sagte er, »und dabei sind sie, meines Wissens, gar keine solche Rarität.«
»Ihr dürft mich gerechterweise nicht tadeln, Alan«, sagte ich, »denn Ihr werdet Euch gewiß erinnern, was Ihr auf dem Schiff zu mir gesagt habt. Aber schließlich sind Versuchung und Schuld nicht das gleiche. Und dafür danke ich Gott ebenfalls. Wir können alle in Versuchung geraten, aber wir dürfen niemand kaltblütig umbringen, Alan.« Ich schwieg, denn ich konnte nicht weitersprechen. Nach einer Pause fragte ich: »Und wißt Ihr, wer es gewesen ist? Kennt Ihr den Mann in dem schwarzen Mantel?«
»Ich kann mich nicht auf die Farbe seines Mantels besinnen«, sagte Alan listig, »aber ich glaube, er war blau.«
»Schwarz oder blau, das ist einerlei; kennt Ihr den Mann?« fragte ich.
»Das kann ich nicht beschwören«, antwortete Alan. »Er kam zwar ganz dicht an mir vorbei, aber der Zufall wollte es, daß ich mir gerade den Sandalenriemen zubinden mußte.«
»Könnt Ihr schwören, daß Ihr ihn nicht kennt, Alan!« rief ich, über sein Ausweichen halb belustigt, halb ärgerlich.
»Nicht jetzt gleich, David, aber ich habe ein wunderbares Gedächtnis, das mir dabei hilft, rasch etwas zu vergessen.«
»Etwas habe ich aber genau gemerkt, nämlich, daß Ihr die Aufmerksamkeit der Rotröcke auf Euch und auf mich gelenkt habt.«
»Das mag stimmen«, sagte Alan, »und so würde jeder anständige Mensch handeln; schließlich hatten wir beide ja überhaupt nichts mit der Sache zu tun.«
»Um so mehr Ursache hatten wir, heil wegzukommen, da wir in einen falschen Verdacht geraten sind!« rief ich. »Die Unschuldigen sollten doch den Schuldigen etwas voraushaben.«
»Wieso, David«, widersprach er, »die Unschuldigen haben doch immer noch die Möglichkeit, vor Gericht freigesprochen zu werden. Aber der Bursche, der den tödlichen Schuß abgegeben hat, täte besser daran, sich im Heidekraut zu verstecken, und diejenigen, die noch nie mit der geringsten Schwierigkeit gekämpft haben, sollten Rücksicht auf jene nehmen, die in Not geraten sind. Das wäre echtes Christentum. Wäre es andersherum gewesen und der Bursche, den ich nicht genau habe sehen können, steckte in unseren Schuhen – und das hätte doch ganz gut der Fall sein können –, nun, ich meine, dann wären wir ihm zu großem Dank verpflichtet, falls er die Aufmerksamkeit der Rotröcke auf sich gelenkt hätte.«
Nachdem Alan diese Rede gehalten hatte, gab ich es auf, mit ihm zu rechten. Außerdem hatte er die ganze Zeit so harmlos ausgesehen, glaubte offenbar so fest an das, was er sagte, und schien so bereit, sich für das aufzuopfern, was er für seine Pflicht hielt, daß ich es vorzog zu schweigen. Ich mußte an Mister Henderlands Worte denken, wie er gesagt hatte, wir könnten selbst von diesen wilden Hochländern lernen. Nun, hier hatte ich mir etwas zu Herzen genommen. Alans Begriffe von Pflicht und Moral standen zwar kopf, aber er war bereit, für sie sein Leben hinzugeben.
»Alan«, meinte ich, »daß so etwas echtes Christentum
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