Entfuehrt
Dad. Bei der Arbeit nannten sie ihn Kenny und hinter seinem Rücken Crazy. Heute Abend begannen die Jungs der neuesten Möchtegern-Rockband, die mehr Zeit damit verbrachten, aus dem Fenster fahrender Autos zu pinkeln und auf der Bühne Glasflaschen zu zerschmettern, statt zu singen, ihn Boss zu nennen.
»Deine Tonlage ist falsch. Hör auf, dich zu bremsen. Öffne deine Stimme. Und ich will hören, dass du auf den Bass eindrischst!«, rief er gegen den Lärm an.
Im Musikgeschäft war Kenneth Waldron gewissermaßen eine Legende, weil er die Rockbands managte, von denen behauptet wurde, sie seien unmöglich zu führen. Er übernahm sie, nachdem jeder andere Manager in der Stadt, der noch einen Funken Verstand hatte, den Jungs in den Arsch getreten hatte und sie nun heulend in der Gosse lagen. Und er brachte sie groß raus. Er behielt die Übersicht. Er kümmerte sich um sie und verschaffte ihnen den Durchbruch.
Jeder fragte sich immer, wie er das schaffte. Warum er es schaffte. Verdammt, es war vollkommen einfach, wenn er bedachte, wen er aufgezogen hatte. Wen er noch immer aufzog, denn seine drei Söhne setzten Himmel und Hölle und alles, was sich dazwischen befand, in Bewegung.
Er war ziemlich jung für das Geschäft, erst vor Kurzem hatte er seinen dreiundvierzigsten Geburtstag gefeiert. Sein leiblicher Sohn war sechsundzwanzig, und die beiden adoptierten Söhne im gleichen Alter. Um seiner Familie zu entkommen, hatte er Maggie geheiratet, als sie beide siebzehn gewesen waren. Er war mit ihrer Familie durch das Sumpfland des Bayou bei St. Charles Parish gezogen, und sie war nach nur einem Monat schwanger gewesen. Schon damals hatte er einige kleinere Bands gemanagt, und mit neunzehn hatten Maggie und er ihre eigene Firma gegründet und neue Talente entdeckt.
Als Christopher dreizehn war, zogen sie nach New York, weil sie in einer Großstadt leben wollten. Chris war damals schon knapp zwei Meter groß gewesen, und er sollte noch zwei weitere Zentimeter bis zu seiner endgültigen Körpergröße wachsen. In Louisiana war er zu Hause unterrichtet worden, aber eigentlich tat er nur das, was er wollte. Er war mit der Rockmusik aufgewachsen, hatte das Talent und die Stimme, um seine eigene Karriere zu starten, aber er hatte nie ein ernsthaftes Interesse an diesem Leben gezeigt. Darum wurde er auch am ersten Schultag von der New Yorker Privatschule geworfen, weil er sich in der Cafeteria eine Zigarette angezündet hatte.
Als er zum Büro des Schuldirektors gebracht wurde und dabei jeden in Hörweite auf Cajun , dem alten westfranzösischen Dialekt aus Louisiana, beschimpfte, waren Nick und Jake bereits dort. Warum, wusste Kenny nicht mehr so genau. Vermutlich, weil sie die Schule geschwänzt hatten. Die beiden hatten einen Hang dazu. Beide standen damals kurz vor dem Rauswurf.
Maggie war hingefahren, um Chris abzuholen. Und sie kam mit zwei weiteren Jungs nach Hause. Alle drei waren für vierzehn Tage suspendiert worden, weil sie direkt vor dem Büro des Schuldirektors angefangen hatten, sich zu prügeln. Einfach, weil ihnen nichts Besseres eigefallen war. Zumindest war das die Erklärung, die Jake ihm an jenem Nachmittag gab, nachdem Kenny eine Schnittwunde an seinem Hals verbunden und dabei ein weitaus größeres Problem entdeckt hatte.
Bis heute konnte Kenny sich nicht erinnern, wann die beiden Jungs offiziell bei ihnen eingezogen waren. Aber es kam ihm vor, als seien sie nach diesem ersten Tag nie wieder gegangen.
Er hatte es einfach als richtig empfunden, erinnerte er sich, während er sich eine weitere Zigarette ansteckte. Er wartete, dass die Bandmitglieder endlich ihre Ärsche auf die Bühne bewegten. Heute Nachmittag hatte er die Jungs in einem Striplokal erwischt, wo sie versuchten, sich zu betrinken und sich den Verstand wegzuvögeln. Er hatte sie aus dem Laden gezerrt und den Rest des Tages auf sie aufgepasst, bis sie wieder in der Lage waren, ohne ihn weiterzumachen.
Die Bandmitglieder glaubten, sie seien erwischt worden, weil jemand sie verraten hatte. Aber in Wahrheit hatte Kenny sie gefunden, weil er das hatte, was die Cajun den Blick nannten. Chris hatte ihn auch. Maggies Mutter hatte das sofort verkündet, als sie Chris das erste Mal in die verschiedenfarbigen Augen gesehen hatte. Das war wenige Minuten nach seiner Geburt gewesen. Er war mit einem blauen und einem grünen Auge zur Welt gekommen.
Nick und Jake nannten das alles diesen übersinnlichen Cajunscheiß , und er trieb sie in den
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