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Entfuehrt

Entfuehrt

Titel: Entfuehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Tyler
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als sie allein im Wald standen. Und er blieb auch jetzt stocksteif stehen und ließ es geschehen. Als sie zu der großen Narbe gelangte, die quer über seinen Lendenwirbelbereich verlief, sprach sie endlich.
    »Darum … Als du sagtest, du würdest keine Ärzte mögen. Die Fragen. Sie mussten dich fragen, und sie fragten so viel …«
    Er antwortete nicht. Seine Oberarmmuskeln spannten sich an, das einzige Anzeichen, das ihr verriet, wie schwer es ihm fiel stillzustehen, während sie ihn untersuchte.
    »Wann?«, fragte sie schließlich und schüttelte betäubt den Kopf, um ihren Blick von ihm loszureißen. Zögernd fuhr ihr Finger über einen der dicken, wie geflochten wirkenden Striemen. Vermutlich stammte er von einem Gürtel. Und da, der etwas dickere, der weiter unten verlief, der stammte von einer Eisenkette, wenn sie eine Vermutung anstellen sollte … Gott, sie musste doch wenigstens so stark sein wie er, wenn er das alles durchgemacht hatte.
    »Es hat angefangen, als ich noch klein war. Bis ich vierzehn war.«
    »Als du ihn …«
    »Ja.«
    Sie schluckte hart. »Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Du musst auch nichts sagen.«
    »Warum? Warum hat er dir das angetan?«
    »Er war ein Trinker, Isabelle. Die brauchen gewöhnlich keinen besonderen Grund, um so was zu tun.«
    »Ich verstehe einfach nicht, wie jemand einem Kind so etwas antun kann.«
    »Gib dir keine Mühe. Man versteht es nicht. Es macht keinen Sinn«, sagte er. »Es ist vorbei. Ich hab’s überwunden.«
    »Nur nicht in deinen Träumen«, erwiderte sie.
    Er atmete scharf ein und sein Kopf fuhr herum. Sie wiederholte die Worte, die er zu ihr in der Nacht der Rettung gesagt hatte. »Manchmal ist es beim ersten Mal am schwersten, es zuzugeben.«
    Als sie gesagt hatte, sie würde sich noch an alles erinnern, was in der Nacht der Rettung passiert war, hatte sie es auch so gemeint. Sie erinnerte sich an jedes Wort, das er gesagt hatte. Sie hielt sich an diesen Worten fest, als wären sie für sie der Heilige Gral. Seine Worte ließen sie atmen und gehen, seine Worte ermöglichten es ihr, das Leben jenseits der zweiundsiebzig Stunden in Rafes Gefangenschaft zu bewältigen.
    »Und manchmal ist es das Schlimmste, was man tun kann.« Seine Stimme verbarg den Schmerz nicht besonders gut. Als hätte er den Versuch aufgegeben, diesen Schmerz vor ihr zu verbergen. Ein gutes Zeichen.
    »Dein Stiefvater ist tot. Es gibt niemanden, der dir noch wehtun kann. Warum erzählst du mir nicht einfach …« Sie verstummte, als sie in seine Augen blickte. Sie hatte einen wunden Punkt berührt. »Du hast wirklich noch nie jemandem die Geschichte erzählt, stimmt’s?«
    Er schüttelte den Kopf und drehte sich von ihr weg. Er blickte aus dem Fenster, während er sprach. »Ich musste sie nie erzählen.«
    »Aber Chris und Nick …«
    »Sie haben es mit mir durchlebt. Sie haben die Schnitte und Blutergüsse gesehen, und ich brauchte es nie zu sagen. Sie haben die Spuren jener Nacht gesehen, aber sie haben mich nie danach gefragt.«
    »Die Polizei muss dich gefragt haben.«
    »Das haben sie.« Seine Stimme klang angespannt. »Ich habe ihnen erzählt, dass ich mich an nichts erinnern würde.«
    Sie legte ihre Lippen auf seine nackte Schulter, um nicht aufzuschluchzen. Das würde ihm jetzt auch nichts nützen. Er wich nicht vor ihr zurück oder verzog das Gesicht, aber er reagierte auch nicht positiv darauf. Er atmete tief durch und redete weiter, den Blick starr nach vorn gerichtet.
    »Ich erinnere mich an das Meiste, nur zum Schluss … Ich war bewusstlos. Die Polizei konnte anhand dessen, was sie gefunden hat, die Geschehnisse rekonstruieren.«
    Sie hob den Kopf. »Was haben sie gefunden?«
    Er drehte sich zu ihr um und zögerte kurz. Dann ließ er sein Handtuch fallen. Ihre Augen glitten an seinem Körper hinab. Er hatte einen herrlichen, muskulösen Körper. Trotzdem bemerkte sie sofort die erhabene, noch immer hochrote Narbe an seiner Hüfte, die von einem weißen Ring umgeben war. Es sah aus wie …
    »Oh mein Gott«, flüsterte sie. »Das kann nicht …« Sie sank auf die Knie, um sich die Sache näher anschauen zu können. Ihr Finger zitterte, als sie darüberfuhr, wie sie alle anderen Narben erkundet hatte. Aber das hier …
    »Das ist ein Brandmal«, sagte sie.
    »Ja.«
    Sie fuhr immer wieder über die erhabene Beule in seiner Haut. Sie war vielleicht so groß wie eine Männerfaust. Und es war keine frische Narbe. Aber die Erinnerung daran, wie sie ihm

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