Entfuehrt
auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Aber wie schon beim letzten Mal, als sie es ihm gegenüber angesprochen hatte, sagte er nichts.
»Ich habe gedacht, du hättest deinem Onkel versprochen, es mal mit der Offiziersausbildung zu versuchen«, sagte er stattdessen.
»Das habe ich auch vor. Darum arbeite ich in der Klinik auf dem Stützpunkt. Mein Onkel hat geglaubt, das würde mir einen besseren Eindruck davon vermitteln, wie das Leben beim Militär ist. Ich will nicht in Portsmouth stationiert bleiben. Ich will dorthin gehen, wo was passiert. Ich weiß, vor Ort könnte ich wirklich was bewegen.« Sie zögerte. »Aber ich will noch einmal nach Afrika zurückkehren, bevor ich den Offizierslehrgang mache.«
Jake antwortete darauf nichts. Er beobachtete sie lediglich aufmerksam. In seinem Blick lag nichts Abschätziges. Sie hätte liebend gern gewusst, was er dachte. Aber das verbarg er ziemlich gut.
»Du glaubst vermutlich, ich sei stur und albern und dass ich mich in Dinge einmische, die mich nichts angehen. Dass ich erst nachdenken und dann handeln sollte, statt einfach nur meinem Instinkt zu folgen«, bot sie ihm Angriffsfläche.
»Wie kommst du darauf, ich sei der Meinung, du solltest solche Tugenden aufgeben?«
Er meinte das absolut ernst. Und in diesem Moment war sie sicher, dass sie ihn lieben konnte. »Dann willst du nicht, dass ich irgendwas ändere?«
»Nein.«
Sie blinzelte, um die Tränen zu unterdrücken. Das hatte ihr noch nie jemand gesagt. Jeder wollte sie immer nur irgendwie verändern, ob das ihre Mutter, ihr Exverlobter oder sogar Onkel Cal waren. »Wenn ich zurück nach Afrika gehen wollte, würdest du mich nicht zurückhalten?«
»Ich glaube, dort ist es ziemlich gefährlich.«
»Und?«
»Und was? Mehr will ich nicht sagen. Es ist gefährlich.«
Wenigstens betrieb er keine Wortklauberei. »Es war trotz allem wunderschön dort. Ich konnte endlich denken. Und atmen.«
Wenn sie die Augen schloss und sich darauf konzentrierte, die Angst auszublenden, die ihre letzten Tage dort bestimmt hatte, konnte sie die vertrauten Gesichter der Mitarbeiter und der Familien, denen sie geholfen hatte, sehen. Die bunt gemusterten Kangas, in die sie die Neugeborenen einwickelte. Die Abende, an denen sie Fanta aus Mehrwegflaschen trank und zusah, wie die Sonne unterging.
»Ich habe dort eine Freundin kennengelernt«, sagte sie. »Eine Fotografin. Sie heißt Sarah und wurde in Simbabwe geboren. Eine Weiße, deren Familie auseinandergerissen wurde, als sie ihr Land zurückgeben mussten«, erzählte sie ruhig. »Sie war so wild und lustig. Aber auch so … einsam. Sie war nicht da, als ich gekidnappt worden bin. Ich wollte mit ihr in Verbindung bleiben, aber dann hätte ich das Gefühl, ich müsse ihr erzählen, was passiert ist. Und das kann ich nicht. Ich sollte eigentlich nicht darüber reden. Ich durfte ja nicht mal mit ihr darüber reden, wer meine Mutter ist.«
»Aber du hast es trotzdem getan«, sagte er.
»Ihr konnte ich vertrauen. Sie hat selbst so viel durchgemacht.«
»Vielleicht kreuzen sich eure Wege eines Tages ein zweites Mal«, meinte Jake.
»Vielleicht. Aber sobald ich die Offizierslaufbahn einschlage, wird es mir unmöglich sein, mit Ärzte ohne Grenzen zurück nach Afrika zu gehen. Leute vom Militär sieht man dort nicht so gern.«
»Warum?«
»Die versuchen manchmal, Waffen reinzuschmuggeln. Sie lösen die Probleme auf ihre Weise, einfach aggressiver. Sie neigen dazu, ein … ganz bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen«, sagte sie trocken. »Wenn ich aber nicht mit Ärzte ohne Grenzen zurück nach Afrika gehen kann, gehe ich eben mit dem Militär. Onkel Cal hat gesagt, das Verteidigungsministerium will einige plastische Chirurgen in Übersee stationieren. An der Front. Dort, wo sie am meisten gebraucht werden.«
»Normalerweise stationieren sie Frauen nicht direkt an der Front«, erwiderte er.
»Nach dem, was ich vom Verteidigungsministerium gehört habe, brauchen sie so dringend Ärzte, dass sie über diese Frage von Fall zu Fall entscheiden«, sagte sie.
Jake nickte langsam. Sie konnte nicht genau sagen, ob er die Entscheidung des Verteidigungsministeriums guthieß oder nicht. »Haben die Leute bei Ärzte ohne Grenzen gut reagiert? Auf das, was dir passiert ist?«, fragte er, statt ihre Bemerkung zu kommentieren.
»Ja, haben sie. Aber sie kennen auch nicht die ganze Geschichte«, erwiderte sie leise. »Du weißt auch nicht alles, vermute ich.«
»Ich weiß bloß,
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