Entfuehrt
helfen.«
Aber ihre Wut und Frustration hatten bereits wieder die Oberhand gewonnen. Wie so oft in letzter Zeit kam dieses Gefühl ohne Vorwarnung. »Warum glaubt plötzlich jeder, er müsse mir helfen? Es ist, als hätte ich die Fähigkeit verloren, irgendwas allein zu schaffen. Sogar du glaubst, ich schaff es nicht allein.«
»Ich habe doch nicht gesagt, dass …«
»Nein, das stimmt, Jake. Ich versteh schon. Du gehst lieber den Weg des geringsten Widerstands. Entschuldige dich für nichts.«
Er wich vor ihr zurück und hob eine Hand, um ihr deutlich zu machen, dass er kapitulierte. »Was willst du von mir, Isabelle?«
So viel. Sie wollte so viel von ihm. Vermutlich war es einfach zu viel. Mehr, als er bereit und willens war, ihr zu geben.
Nicht, dass sie ihn darum bitten würde.
Sie ging auf ihn zu, und er richtete sich auf, als wappne er sich gegen jegliche Art von Attacke.
»Was willst du von mir, Jake?«, fragte sie. »Du musst doch etwas wollen. Ich glaube nicht, dass du jede Frau, die du kennenlernst, fragst, ob sie mit dir und deinen Brüdern in einem Haus leben will.«
»Woher weißt du das denn?«
»Du scheinst nicht der Typ dafür zu sein.«
»Und ich weiß, dass du nicht der Typ Frau bist, der gern um Hilfe bittet. Weißt du, es ist absolut okay, Hilfe anzunehmen.«
»Nicht dort, wo ich herkomme«, murmelte sie. »Chirurgen werden dazu erzogen, einsam zu sein. Den Wettbewerb zu suchen.«
»Hast du in Afrika den Wettbewerb gesucht?«
»Ich war einsam.«
»Klingt, als wolltest du auch jetzt noch einsam sein.« Er ballte die Faust, aber das fühlte sich für sie alles andere als richtig an.
Sie nahm seine Hand und zwang seine Finger, sich zu öffnen. Er leistete nicht allzu großen Widerstand, und sie legte ihre Handfläche gegen seine. Ihre Finger verschränkten sich ineinander. Sie starrte in diese herrlich grauen Augen, die sie anschauten, als sei sie für ihn die einzige Frau auf Erden. »Glaubst du, es gibt mehr zwischen uns als nur die Tatsache, dass du mich gerettet hast?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, gab er zu.
»Möchtest du es herauszufinden?«
Er gab keine Antwort, sondern starrte sie bloß an, bis ein regelmäßiges Piepen, das von unten zu ihnen heraufdrang, ihrer beider Aufmerksamkeit auf sich zog.
Cal hörte, wie der Wind am Haus rüttelte. Er lag in seinem Schlafzimmer in der Mitte des riesigen Betts. Um ihn herum waren Bücher und Papiere verstreut, genau so wie er sie liegen gelassen hatte, als er eingeschlafen war, kurz nachdem sein Telefon gepiept und ihn daran erinnerte hatte, sein Blutdruckmedikament zu nehmen. Es musste ungefähr zu der Zeit gewesen sein, als Isabelle das Haus verlassen hatte.
Verdammt. Alter Mann, du verlierst dein Fingerspitzengefühl. Es war richtig gewesen, sie zu Jake zu schicken.
Jetzt war sie bei Jake, und bei ihm war sie sicher. Zumindest so sicher, wie man es bei einem alleinstehenden, heißblütigen Amerikaner, der bestens ausgebildet war, sein konnte.
Cal war bestimmt noch nicht zu alt, um sich daran zu erinnern, wie es war, wenn man eigentlich rund um die Uhr Lust hatte.
Instinktiv glitt seine Hand zum Telefon. Er wählte die vertraute Nummer. 0400. Die Uhrzeit war egal. Sie würde wach sein. Die Schatten der Nacht halfen immer, die Schuldgefühle zu mildern. Bei Tagesanbruch konnte er immer noch so tun, als sei nichts geschehen, obwohl es dazu eigentlich längst keinen Grund mehr gab.
»Jeannie.« Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren müde, obwohl er, seit er siebzehn war, jeden Tag um exakt diese Uhrzeit aufstand.
Jeannie Cresswells Stimme klang angespannt, als sie erkannte, wer sie anrief. »Cal. Ist sie …«
»Es geht ihr gut. Alles in Ordnung.« Verdammt, er hätte nachdenken sollen, ehe er sie anrief. Ärgerlich warf er die Bettdecke zurück. Die Papiere fielen zu Boden. Nicht zum ersten Mal überlegte er, sich einen Hund anzuschaffen, damit er wenigstens Gesellschaft hatte und nicht immer nur inmitten seiner Papiere aufwachte.
Doch er war ein zu eigenbrötlerischer Mensch, um sich auch nur diesen kleinen Luxus zu gönnen.
»Oh, gut. Das ist gut.« Dennoch schwang in ihrer Stimme eine Sorge mit, die nie verschwinden würde. »Du hast ihn wieder bezahlt, nicht wahr? Er hat gesagt, wenn du ihn nicht weiter bezahlst …«
»Ich kümmere mich um Rafe«, log er. Seit zwei Wochen belog er sie. Seit das Geld zuletzt fällig wurde. Die dritte Zahlung in einer nicht enden wollenden Reihe von Zahlungen. Die
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