Entfuehrt
es niemandem erzählen. Aber die meisten Ärzte kommen nicht mit einem persönlichen Bodyguard hierher.«
»Ich bin nicht wie die meisten Ärzte.«
Sarah lächelte. »Das weiß ich auch.«
Sarah hatte sie berührt, wie es nur wenigen Frauen gelang. Zum Teil lag es daran, dass sie ebenso kompliziert war wie Isabelle selbst. Das hätten vermutlich die wenigsten Menschen verstanden. Und doch war diese Freundschaft eine der angenehmsten, die Isabelle je erlebt hatte.
Sie konnte einfach nicht glauben, dass Sarah etwas mit der Angelegenheit zu tun hatte. Ihr war schon zu viel genommen worden – jetzt nicht auch noch diese Freundin.
»Izzy«, rief Onkel Cal. Er hatte die Haustür erreicht, und sie folgte ihm rasch ins Haus.
Im Wohnzimmer wurde sie erwartet.
»Izzy!« Ihre Mutter umarmte sie stürmisch. Ihre Zuneigung überraschte Isabelle immer wieder aufs Neue. In der Welt der Politik erschien Jeannie Cresswell immer unerschütterlich und majestätisch. Privat war sie jedoch humorvoll und warmherzig. Isabelle fragte sich oft, ob dieses anstrengende Doppelleben wirklich notwendig war.
»Hey Mom.« Isabelle erwiderte die Umarmung. Der vertraute Duft von Chanel No. 5, der ihre Mutter stets umgab, schenkte Isabelle ein Gefühl von Geborgenheit. Obwohl ihnen manchmal räumliche Nähe fehlte, war Isabelle froh um die enge Bindung zwischen ihnen. Nicht nur aufgrund des militärischen Hintergrunds der Familie war ihre Mutter manchmal übermäßig um Isabelles Sicherheit besorgt. Und seit sie sich politisch engagierte, war es noch schlimmer geworden. Isabelle konnte nie so genau sagen, was ihre Mutter von ihr erwartete, und sie hatte es schon früh aufgegeben, ihren Erwartungen entsprechen zu wollen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihre eigenen Ziele. Inzwischen hatten die beiden Frauen mit dieser Frage abgeschlossen.
Ihr letzter Trip nach Afrika hatte den Frieden jedoch fast vollständig wieder zerbrechen lassen.
»Du siehst gut aus, Liebes.« Jeannie hielt sie auf Armeslänge von sich. »Aber ich finde, du bist immer noch zu dünn. Isst du genug?«
»Ja, Mom. Es tut gut, dich zu sehen.« Und das stimmte tatsächlich.
Ihre Mutter war während der ersten Woche von Isabelles Krankenhausaufenthalt jeden Tag fast ohne Unterbrechung bei ihr gewesen. In dieser ersten Woche hätte Isabelle beinah einen Pneumothorax erlitten. Rückblickend kam es einem kleinen Wunder gleich, dass ihre Lunge nicht kollabiert war, während Jake sie durch den Dschungel getragen hatte. Er war durch unwegsames Gelände gelaufen, und um das hohe Tempo aufrechtzuerhalten, war er nicht besonders behutsam mit ihr umgegangen. Das zusätzliche Morphin, das er ihr vorher verabreicht hatte, half vermutlich ebenso wie der Umstand, dass er sie immer wieder einfach nur in den Armen gehalten hatte, nachdem er eine kurze Strecke mit ihr gelaufen war.
Die Schmerzmittel, die man ihr hatte geben wollen, nachdem sie im Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte sie überwiegend abgelehnt. Sie wollte nicht betäubt sein. Ihr Körper war immer noch in Alarmbereitschaft gewesen, auch wenn sie schlief. Und sie war gezwungen gewesen, mit den Leuten vom FBI, von der CIA und vom Militär zu sprechen, ebenso mit einem nicht enden wollenden Strom anderer Leute, die ihr immer wieder die gleichen Fragen gestellt hatten.
Und sie hatte ihnen immer wieder die gleichen Antworten gegeben, die sich jedoch von dem unterschieden, was sie Jake erzählt hatte. Immer wieder hatte sie Rafe anhand von Fotos identifiziert. Sie hatte gewusst, ihr Leben würde nie mehr wieder das gleiche sein.
Sie zwang sich, nicht mehr darüber nachzudenken. Neben der Handtasche ihrer Mutter entdeckte sie den Umschlag, während Jeannie und Cal sich zur Begrüßung kurz umarmten.
Ihre Mutter lud sie mit einer Handbewegung ein, sich zu ihr aufs Sofa zu setzen. »Ich habe heute mit Daniel zu Mittag gegessen«, sagte sie.
Isabelle erwiderte nichts. Sie hielt dem Blick ihrer Mutter stand, bis Jeannie nach ein paar Sekunden als Erste nachgab. »Er vermisst dich, Izzy.«
»Du bist also hergekommen, weil du mich überreden willst, nach Washington zurückzukehren, sobald meine drei Monate hier um sind.« Sie fragte sich, ob ihre Mutter den Plan ausgeheckt hatte, bevor oder nachdem die Papiere von Ärzte ohne Grenzen in ihrem Briefkasten gelandet waren. Aber diese diplomatische Gesprächsführung war typisch für sie: Erst verhielt sie sich freundlich und sanft, wickelte ihren Gegner ein, und dann
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