Entfuehrt
Jemand, der dich nicht mit seiner Anwesenheit ständig an diese Ereignisse erinnert«, erklärte ihre Mutter.
»In den vergangenen Monaten war nichts einfach. Aber ich muss es einfach tun. Dieser Mann lässt mich sein, wie ich bin. Du weißt ja nicht, wie wichtig das für mich ist.« Isabelle ließ zu, dass ihre Mutter ihr die Tränen von den Wangen wischte. Insgeheim wartete sie, dass ihre Mutter die zahlreichen Argumente aufzählte, die dagegensprachen.
»Liebes, es tut mir so leid. Ich weiß, wie wichtig dir das ist. Ich wollte nur nicht, dass du dieselben Fehler machst wie ich.«
Es war vielleicht das erste Mal, dass ihre Mutter ihr etwas so Persönliches gestand. Isabelle beobachtete, wie sich ein dünner Schleier über die Augen ihrer Mutter legte. Plötzlich sah sie wieder der jungen Frau ähnlich, die sich mit siebzehn in einen Soldaten verliebt hatte.
»Ist es ein Fehler gewesen, sich in meinen Vater zu verlieben?«
»Ich war jung. Er war ein Held. Ein gefährlicher Held.« Ihre Mutter zögerte. Sie spielte mit dem silbernen Medaillon, das sie stets um den Hals trug. »Männer wie er haben Geheimnisse. So viele Geheimnisse … Sie stoßen dich von sich, wenn du versuchst, ihnen zu nahezukommen.«
Jake hatte auch Geheimnisse – so viel wusste Isabelle zumindest. Sie kannte nicht die genauen Umstände, aber wenn sie wollte, konnte sie die Lücken leicht mit Leben füllen. Ihre Vorstellungskraft reichte vermutlich nicht an die wahren Ausmaße dessen heran, was Jake als Kind hatte erleiden müssen. Und seitdem trug er zusätzlich die Bürde mit sich, am Tod seines Stiefvaters schuld zu sein.
»Du glaubst zwar, du kannst ihnen helfen«, fuhr ihre Mutter fort, »aber in Wahrheit kannst du das nicht. Soldaten sind einfach anders. Sie wurden für das Soldatenleben geboren. Und die Männer bei den Special Forces sind eine Klasse für sich, Izzy. Ich glaube nicht, dass sie gut für dich sind.«
Isabelle spürte, dass ihre Mutter nicht mehr über ihren Vater sprach. »Ich muss meine eigenen Entscheidungen treffen.«
»Das weiß ich doch. Aber ich fürchte, du triffst diese Entscheidung aus den falschen Gründen. Zum Beispiel, weil du glaubst, bei diesem Mann sicher zu sein.«
Ich bin bei ihm sicher. Die Worte wollten ihr über die Lippen schlüpfen, doch sie hielt sie zurück. Worte wie Sicherheit und Vertrauen hatte sie vor zwei Monaten aus ihrem Wortschatz streichen müssen. Und es war ein langsamer, quälender Prozess, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. »Es geht mir gut, Mom«, sagte sie stattdessen. »Wirklich. Vertrau mir.«
»Du hast nicht allzu viele Erfahrungen mit Männern. Du hast erst lange an der Universität studiert, hast deine Facharztausbildung gemacht und die Karriere vorangetrieben. Du hast viel Zeit allein verbracht. Es gibt noch mehr als nur deine Karriere.«
»Ich habe mich bewusst dafür entschieden, allein zu sein. Außerdem war ich verlobt«, erinnerte sie ihre Mutter.
»Du hast ihn nicht geliebt«, stellte die fest.
»Woher weißt du das?«
Jeannie legte eine Hand auf Isabelles. »Eine Mutter weiß diese Dinge nun mal.«
»Dann verstehe ich nicht, warum du versucht hast, mich wieder mit ihm zusammenzubringen, wenn du doch weißt, dass ich für Daniel nichts empfinde.«
Jeannie strich eine Strähne aus Isabelles Gesicht. Ungeduldig band Isabelle ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie hatte ihr Haar vorhin gelöst, weil sie wusste, dass ihre Mutter es mochte, wenn sie ihr Haar offen trug. Aber jetzt war es ihr im Weg.
»Du warst immer so einsam. Ich weiß, dir ist das lieber. Aber anfangs wusste ich es eben nicht. Ich dachte, du wärst allein. Schüchtern. Ich habe versucht, dich aus deinem Schneckenhaus herauszulocken.«
Isabelle erinnerte sich nur zu gut daran. »Du hast irgendwann aufgegeben.« Sie fragte sich, ob auch Onkel Cal schon mal so etwas zu hören bekommen hatte. Für sie war er der einsamste Mensch, den sie kannte.
»Das habe ich, als ich endlich begriff, dass dir deine eigene Gesellschaft genügt. Aber ich war hocherfreut, als du letztlich doch Daniel in dein Leben gelassen hast. Zumindest habe ich geglaubt, du hättest das getan.«
Isabelles Verlobter hatte sie immer gut behandelt. Er schien kein Problem mit ihrem Ehrgeiz zu haben, der immer neue Herausforderungen suchte. Vielleicht lag es daran, dass er kein Interesse daran hatte, sie zu übertreffen. Er war Kinderarzt und kein Chirurg, und es schien ihm nichts auszumachen, wenn seine zukünftige
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