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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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verkörpere, Stimme und Redeweise und alle sonstigen sprachlichen Besonderheiten ändere. Dann bin ich nicht mehr ich, zumindest nicht mehr ganz ich. Das Stottern ist eine Folge einer lange zurückliegenden Kontusion, die Fandorin erlitten hat, aber nicht das gesetzte Bäuerlein, das ganz ehrerbietig mit dem Herrn Schutzmann plaudert.«
    Ich winkte ab.
    »Ihre ganze Psychologie ist unter den gegebenen Umständen keinen Pfifferling wert. Niemanden können wir retten. Uns muß jemand retten. Die Polizei hat unsere Beschreibung, unsere besonderen Kennzeichen. Wir sollten uns stellen. Wir erklären, wie alles gekommen ist, dann wird man uns verzeihen.«
    Fandorin zuckte mit empörendem Leichtsinn die Achseln.
    »Diese Kennzeichen haben es Ihnen aber angetan. Wir werden sie ändern. Wir färben Ihre Haare b-blond, ziehen Sie als Beamten an und rasieren Schnurr- und Backenbart ab …«
    »Um nichts auf der Welt!« rief ich. »Ich trage meinen Bart seit über zwanzig Jahren!«
    »Wie Sie wünschen, aber mit Ihrem, wie Lind sich ausdrückte,favoris de chien, sind Sie wirklich leicht zu erkennen. Sie verurteilen sich selbst dazu, irgendwo im Z-Zimmer zu hocken, während ich völlig frei durch die Stadt spazieren werde.«
    Diese Drohung schreckte mich nicht im geringsten, ich war mit meinen Gedanken auch schon woanders.
    »Ich stelle mir vor, wie sehr sich Ihre Hoheiten über mein unverständliches Verschwinden wundern«, murmelte ich verzagt.
    »Wohl eher entrüsten«, berichtigte mich Fandorin. »Von außen sieht alles recht eindeutig aus. Selbstverständlich sind alle zu dem Schluß gekommen, daß wir uns mit Lind arrangiert haben, wenn nicht gar von Anfang an mit ihm im Bunde waren. Oder daß wir beschlossen haben, die Gelegenheit zu n-nutzen, um den ›Orlow‹ in unseren Besitz zu bringen. Darum ist die Polizei an uns so außerordentlich interessiert.«
    Ich stöhnte auf. Natürlich – zu diesem Schluß mußte man ja kommen!
    Auch Fandorin ließ den Kopf hängen. Offensichtlich war ihm endlich aufgegangen, in was für eine Lage uns seine Abenteurerlust gebracht hatte.
    Aber nein, ihn betrübte etwas ganz anderes.
    »Ach Sjukin, eine großartige Operation ist f-fehlgeschlagen! Der Austausch des Kutschers – das war so einfach und fast g-genial. Aus Emilies Erzählungen wußte ich, daß er taubstumm ist. Dieser Umstand, dazu der in die Stirn gezogene Hut und der dichte schwarze B-Bart, haben die Aufgabe erleichtert. Der Kutscher sitzt jetzt bei der Polizei, aber er wird keinen Nutzen bringen. Er ist nicht nur stumm, sondern wie ein Tier. Darum bedeutete er für Lind kein R-Risiko. Alles hätte laufen müssen wie am Schnürchen! Wir hätten den Jungen gerettet und Lind gefaßt.« Er machte eineärgerliche Handbewegung. »Und hätten wir ihn nicht lebend bekommen, dann hätten wir ihn an Ort und Stelle erledigt, kein großer Verlust für die M-Menschheit. Ich hätte eher hinuntersteigen müssen. Wie konnte ich auch wissen, daß sich der Juwelier nicht von der Klinge einschüchtern läßt? Deswegen ist alles schiefgegangen. Wie sie alle diesem Lind ergeben sind! Womit verzaubert er sie nur? Es ist unglaublich!« Fandorin sprang erregt auf. »Der verdammte Belgier hat nicht an sich gedacht, sondern an Lind. Das ist nicht einfach Banditenehre, das ist selbstlose Liebe!«
    »Woher wissen Sie, daß der Juwelier Belgier war?«
    »Was?« fragte er zerstreut zurück. »Ach so, seine Aussprache. Er war aus Antwerpen, ohne jeden Zweifel. Aber das ist unwichtig. Wichtig ist etwas anderes. Wie deuten Sie Emilies W-Worte? Erinnern Sie sich, sie rief: ›Lind ist hier! Es ist …‹ Ich habe das Gefühl, sie wollte einen uns bekannten Namen nennen oder aber eine charakteristische oder unvermutete Besonderheit. Wenn sie den Namen nennen wollte, dann wessen? Wenn ein Kennzeichen, dann was für eins? ›Es ist ein B-Buckliger‹? ›Es ist ein Chinese‹? ›Es ist eine Frau‹?« Fandorin kniff die Augen ein. »Ob Chinese oder Frau, weiß ich nicht, alles ist möglich, aber daß Lind nicht bucklig ist, weiß ich ganz genau, das hätte ich bemerkt … Macht nichts, bald werden wir alles wissen.«
    Die letzten Worte waren mit so ruhiger Gewißheit gesagt, daß sich in mir Hoffnung regte.
    »Also, Sjukin, ü-überlegen wir, wägen wir das Plus und das Minus unserer Lage ab.« Er setzte sich zu mir, nahm ein paar Steinchen in die Hand und zog einen Strich durch den Sand. »Der Knabe ist nach wie vor in den Händen Linds. Das ist schlecht.«

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