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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Sie nicht, sondern stoßen mich nur an.«
    Bislang war ich noch nie mit einem Mann Arm in Arm gegangen. Auch mit einer Frau nicht, abgesehen von einer lange zurückliegenden Geschichte, als ich noch ganz jung und dumm war. Aber das lohnt nicht, erzählt zu werden.
    Im Mai sind die Nächte kurz, im Osten zeigte sich am Himmel schon ein rosa Streifen, die Dunkelheit begann sich zu lichten. Der Platz vor dem Schloß war, soweit das Auge reichte, voller sitzender, liegender und zechender Menschen. Es war zu sehen, daß viele schon seit dem Abend hier lagerten, und an den Feuern wurde es immer enger. Ich stieß mit den Füßen ständig gegen leere Flaschen. Und aus Moskau kamen in dichtem Strom immer neue Massen.
    Links, hinter Schlagbäumen und einer Soldatenkette, erstreckte sich ein weites Feld, auf dem dicht an dicht Festbuden und frisch gezimmerte turmähnliche Gebäude standen. Dort wurden sicherlich die kaiserlichen Geschenke aufbewahrt. Mich fröstelte, wenn ich mir vorstellte, was für ein Gedränge hier in ein paar Stunden losbrechen würde, wenn das Meer der vom langen Warten zermürbten Menschen die Sperren hinwegschwemmte.
    Wir schlenderten von den Schlagbäumen zum Schloß und zurück – einmal, ein zweites und drittes Mal. Es war längst hell, mit jedem Mal hatten wir größere Mühe, uns durch die immer dichter werdende Menge zu zwängen. Ich drehte pausenlos den Kopf, überblickte die mir zugewiesene Hälfte desPlatzes und kämpfte gegen die Verzweiflung an, die mich immer wieder überkam.
    In der Ferne wurde das Wecksignal geblasen, und mir fiel ein, daß sich dort Militärsommerlager befanden.
    Jetzt ist es bestimmt sieben, dachte ich und versuchte mich zu erinnern, wann gewöhnlich zum Wecken geblasen wurde. Plötzlich sah ich vorn den bekannten Kalabreser und daneben die Beamtenmütze.
    »Da sind sie!« schrie ich und zog Fandorin mit aller Kraft am Ärmel. »Gott sei Dank!«
    Der Postler drehte sich um, erkannte mich und rief: »Sjukin!«
    Sein Begleiter wandte sich auch für einen Moment um, ich sah nur Brille und Bart, dann tauchten beide in das dickste Gewühl, unmittelbar vor den Schlagbäumen.
    »Ihnen nach!« Fandorin stieß mich vorwärts.
    Vor uns stand ein dicker Kaufmann, der nicht den Weg freigeben wollte. Fandorin packte ihn ohne viel Federlesens mit einer Hand am Kragen und mit der anderen am Rockschoß, hob ihn hoch und schleuderte ihn beiseite.
    Wir drängten uns durch die Menge – Fandorin voran, ich hinter ihm her. Er durchschnitt die Menschenmasse wie ein Admiralsschiff die See und hinterließ zu beiden Seiten Bugwellen. Von Zeit zu Zeit sprang er in die Höhe, wohl um Lind nicht wieder aus dem Auge zu verlieren.
    »Sie schlagen sich durch zum Chodynka-Feld!« rief er mir zu. »Ausgezeichnet! Dort sind keine Massen, dafür viel Polizei!«
    Gleich, gleich haben wir sie, dachte ich, und meine Kräfte verzehnfachten sich. Ich schloß zu Fandorin auf und krähte: »Aus dem Weg!«
    Näher zur Umzäunung standen die Umsichtigsten und Geduldigsten Schulter an Schulter, so daß wir nur noch langsam vorankamen.
    »Platz da!« schnauzte ich. »Polizei!«
    »Das ist ja ein ganz Gerissener!«
    Ich bekam einen solchen Stoß in die Seite, daß mir schwarz vor Augen wurde und ich nach Luft japste.
    Fandorin zog eine Polizeipfeife hervor und blies hinein – vor dem schrillen Laut wich die Menge zur Seite, und ein paar Schritte kamen wir zügig voran, doch dann wuchsen Tuchröcke, Jacken und Hemden erneut zusammen.
    Lind und der Postler waren zum Greifen nahe. Jetzt krochen sie unter der Absperrung durch und waren auf freiem Gelände, vor der Postenkette. Ah, nun waren sie in der Falle!
    Ich sah, wie der Hut sich zu der Mütze neigte und ihr etwas zuflüsterte.
    Der Postler drehte sich um, schwenkte die Arme und schrie durchdringend: »Rechtgläubige! Die aus Wagankowo sind von der anderen Seite durchgebrochen und werden sich alle Becher holen! Vorwärts, Leute!«
    Ein einziger Schrei aus Tausenden Kehlen.
    »Gemeinheit! Wir stehen die ganze Nacht hier, und die kriegen’s für umsonst. Du lügst!«
    Mit einemmal wurde ich von einer so unbändigen Kraft ergriffen und vorwärtsgetragen, daß meine Füße sich vom Boden lösten. Alles ringsum geriet in Bewegung, und jeder setzte die Ellbogen ein, um zu den Zelten und Pavillons zu gelangen.
    Vorn gellten Trillerpfeifen, und es wurde in die Luft geschossen.
    Jemand brüllte durch ein Sprachrohr: »Wohin, wohin? Ihr trampelt euch zu Tode!«
    Etliche

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