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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Rubel. Fandorin hielt die Papierveilchen auf dem Tüll für überflüssig, aber ich fand, sie paßten wunderbar zu Emilies Augen.
    Schwierig wurde es im Geschäft für Damenwäsche. Hier verweilten wir ziemlich lange, denn wir konnten auf keine Frage der Verkäuferin vernünftig antworten. Fandorin wirkte verlegen, und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, besonders als die schamlose Person uns nach der Größe der Büste befragte.
    In diesem Geschäft hörte ich ein Gespräch mit an, das mir gründlich die Laune verdarb, so daß ich mich nicht mehr an der Auswahl der Dessous beteiligte und alles Fandorin überließ.
    Zwei Damen unterhielten sich halblaut, aber ich verstand jedes Wort.
    »Da ist der Zar in Tränen ausgebrochen und hat gesagt: ›Das ist ein Zeichen des Himmels, daß ich nicht Zar sein soll. Ich werde die Krone ablegen und ins Kloster gehen, um denRest meiner Tage für die Seelen der Umgekommenen zu beten‹«, sagte die erste, eine dicke und herausgeputzte Frau, aber allem Anschein nach nicht aus den höchsten Kreisen. »Mein Serge hat es mit eigenen Ohren gehört, denn er war gestern abend diensttuender Beamter bei Seiner Hoheit.«
    »Was für eine Seelengröße!« schwärmte die Gesprächspartnerin, die jünger und schlichter war und die Dicke respektvoll ansah. »Und Simeon Alexandrowitsch? Ist es wahr, daß er den Zaren und die Zarin überredet hat, trotzdem auf diesen unglückseligen Ball zu gehen?«
    Ich trat näher heran, wobei ich so tat, als betrachtete ich irgendwelche Spitzenhöschen mit Rüschen und Falbeln.
    »Die reine Wahrheit!« Die erste Dame senkte die Stimme. »Serge hat gehört, wie Seine Hoheit sagte: ›Papperlapapp! Die Leute haben sich in ihrer Gier, was umsonst zu kriegen, gegenseitig tot getrampelt. Sei nicht kindisch, Nicky, fang an zu regieren.‹«
    Die füllige Dame hätte wohl kaum so viel Phantasie gehabt, sich Derartiges auszudenken. Das sah dem Großfürsten ähnlich – er hatte Wort für Wort den Satz wiederholt, den einst Alexander der Gesegnete 32 vom Mörder seines gekrönten Vaters 33 zu hören bekam.
    »Ach, Filippa Karlowna, wie konnte er nur an einem solchen Abend auf den Ball des französischen Gesandten gehen!«
    Filippa Karlowna seufzte kummervoll und hob die Augen himmelwärts.
    »Was soll ich Ihnen darauf antworten, Polina? Ich kann nur Serges Worte wiederholen: ›Wen Gott strafen will, demnimmt er den Verstand.‹ Sehen Sie, Graf Montebello hatte extra für den Ball hunderttausend Rosen aus Frankreich kommen lassen. Wäre der Ball verschoben worden, so wären die Rosen verwelkt. Darum besuchten die Majestäten das Fest, doch zum Zeichen der Trauer tanzten sie nicht. Dennoch gehen in Moskau unter dem einfachen Volk Gerüchte um, der Zar und seine Deutsche 34 hätten ausgelassen getanzt und sich gefreut, daß so viel rechtgläubige Seelen umgekommen seien. Entsetzlich, einfach entsetzlich!«
    Mein Gott, dachte ich, was für ein unverzeihlicher Leichtsinn. Wegen ein paar Rosen ganz Rußland gegen sich aufzubringen! Man hätte die Tragödie auf dem Chodynka-Feld noch als ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen erklären, die Organisatoren der Volksbelustigung öffentlich vor Gericht stellen oder sonst etwas tun können, um die Autorität der höchsten Macht zu wahren, nun aber richtete sich der allgemeine Haß nicht gegen den Moskauer Generalgouverneur, sondern gegen den Zaren und die Zarin. Und alle würden wiederholen: Die Rosen waren ihm wichtiger als die Menschen.
    Wir gingen, mit zahlreichen Schachteln und Bündeln beladen, die Straße zurück. Ich weiß nicht, worüber Fandorin, der das Gespräch der beiden Frauen nicht gehört hatte, nachdachte, aber seine Miene war konzentriert, wahrscheinlich entwarf er einen Aktionsplan. Ich zwang mich, meine Gedanken auch der praktischen Frage zuzuwenden, wie wir den flüchtigen Lord Banville und zugleich den Großfürsten Michail ausfindig machen könnten.
    Plötzlich blieb ich wie angenagelt stehen.
    »Und Freyby?« schrie ich.
    »Was ist mit Freyby?«
    »Wir haben ihn ganz außer acht gelassen, aber er ist auch ein Mann Linds, ganz eindeutig! Der Doktor hat ihn als Späher in der Eremitage zurückgelassen. Natürlich!« Ich stöhnte auf, überwältigt von meiner späten Erleuchtung. »Freyby hat sich von Anfang an merkwürdig benommen. Gleich am ersten Tag hat er gesagt, daß es im Haus wahrscheinlich einen Spion gibt. Damit wollte er von sich ablenken. Und dann ist da noch etwas, was ich

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