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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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nicht von der Seite und beobachtete seine Vorbereitungen. Alles ging so schnell, daß ich keinen klaren Gedanken fassen konnte.
    »Aber warum müssen wir uns trennen?«
    »Wenn Somow Linds Mann ist, halte ich es für überaus wahrscheinlich, daß er in dieser Minute seinen Chef anruft, und dann erwartet mich auf dem Friedhof eine h-heißere Begegnung, als mir lieb ist. Zwar haben sie keine Zeit mehr, um Vorkehrungen zu treffen, aber der Ort ist günstig, sehr abgelegen.«
    »Um so mehr muß ich Sie begleiten!«
    »Nein, Sjukin. Sie müssen hierbleiben und das da hüten.«
    Er zog den in ein Tuch gewickelten Brillanten hervor. Ich hielt andächtig die Hand hin und fühlte, daß eine seltsame Wärme von dem heiligen Stein ausging.
    Fandorin machte auf dem Absatz kehrt und ging in den Korridor. Ich blieb ihm auf den Fersen. An der Schwelle zur Küche hockte er sich hin, lockerte ein Dielenbrett, hob es an, und im nächsten Moment hielt er die Schatulle in den Händen.
    »Hier, Sjukin, jetzt bin ich dem Hause Romanow nichts mehr sch-schuldig. Und Sie können sich doch als bevollmächtigter Vertreter der kaiserlichen Familie betrachten?« Er lächelte kurz. »Vor allem eines, bleiben Sie immer am Telephon. Ich rufe Sie unbedingt an.«
    »Von wo?«
    »Das weiß ich noch nicht. Aus irgendeinem H-Hotel, Restaurant, einer Poststelle.«
    An der Wohnungstür drehte er sich um und sah mich an. Sein Blick war eigenartig – als könne er sich nicht entschließen, mir etwas zu sagen, oder als sei er in seinem Vorhaben wankend geworden. Das gefiel mir ganz und gar nicht, undich dachte sogar erschrocken, er habe es sich anders überlegt und wolle die Juwelen mitnehmen.
    Die Schatulle an mich drückend, trat ich einen Schritt zurück und sagte: »Sie verspäten sich. Es ist doch ein weiter Weg. Wenn Somow nun nicht wartet?«
    »Er wartet«, antwortete Fandorin zerstreut und dachte eindeutig an etwas anderes.
    Sah ich Mitleid in seinen Augen?
    »Hören Sie, Afanassi Stepanowitsch …«
    »Was ist?« Ich fühlte, daß er mir gleich etwas sehr Wichtiges sagen würde.
    »Nein … Nichts. Warten Sie auf meinen Anruf.«
    Er drehte sich um und ging hinaus.
    Was für ein widerliches Benehmen!
     
    Ich machte es mir am Telephon bequem.
    In der Gewißheit, daß mich Fandorin in der nächsten Stunde nicht anrufen würde, hatte ich mir Geld vom Tisch genommen (er hatte einen ganzen Packen dagelassen), war in die Mjasnizkaja gegangen und hatte frische Semmeln, guten Moskauer Schinken und Zeitungen gekauft. Die Schatulle hatte ich mir unter den Arm geklemmt und mitgenommen, ständig Ausschau haltend, ob sich Diebe in der Nähe herumtrieben. Der »Orlow« hing in einem speziellen Stoffsäckchen, einem Amulett, an meinem Hals.
    Meine Seele, der Erschütterungen müde, war gestählt und verhärtet. Noch vor wenigen Tagen wäre ich an einem solchen Tag außerstande gewesen, in aller Ruhe am Tisch zu sitzen, Tee zu trinken, einen Imbiß zu mir zu nehmen und die Zeitungen durchzublättern. Wie es so schön heißt: Die steilen Hügel hatten den Gaul geschafft.
    Es war nicht so, daß die Zeitungen das Unglück auf dem Chodynka-Feld verschwiegen hätten, wie konnten sie auch, wenn ganz Moskau heulte und wehklagte, aber sie schrieben ausweichend, legten das Hauptgewicht auf die wohltätigen und mildherzigen Gesten der allerhöchsten Personen. Darin waren ein angemessener Takt und Sorge um das Kaiserhaus zu spüren.
    Zum Beispiel beschrieben die »Moskauer Nachrichten« auf das ausführlichste den Besuch der Zarinmutter im Alten Jekaterinen-Krankenhaus, wo sie jedem Verletzten eine Flasche Madeira schenkte.
    Der Zar und die Zarin hatten verfügt, die Beisetzungen auf Staatskosten vorzunehmen, und setzten den Familien, die den Ernährer verloren hatten, eine Beihilfe aus. Das war außerordentlich hochherzig, doch mir schien, daß die Zeitung sich zu sehr an der Großzügigkeit der Majestäten begeisterte, den Grund für diese Großzügigkeit jedoch mit Schweigen überging. Der Ton des Artikels dürfte den Geschmack der Moskauer kaum getroffen haben.
    Vollends verstimmte mich die »Moskauer Illustrierte«, der nichts Besseres eingefallen war, als die künstlerisch gestaltete Speisefolge für das Festessen abzudrucken, das für dreitausend Personen im Facettenpalast gegeben wurde.
     
    Bouillon Lukullus
    Verschiedene Pastetchen
    Kaltes vom Haselhuhn à la Suworow
    Hauptgericht: Küken am Spieß
    Salat
    Spargel
    Eis
    Dessert
     
    Ich sah sehr wohl, daß infolge

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