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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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so töricht! Während der Audienz darfst du Li Hung-tschang nicht auf die Konzession ansprechen! Auf gar keinen Fall! Du wirst noch alles verderben!«
    Ich schüttelte unwillkürlich den Kopf und dachte, daß es nicht mehr lange so weitergehen könne. Der Zar war keineswegs so willenlos, wie die Hoheiten dachten. Und er war nachtragend.
    Ich klopfte an, übergab das Couvert und zog mich sofort wieder auf den Korridor zurück.
    Ich brauchte nicht länger als fünf Minuten zu warten. Großfürst Georgi schaute heraus und winkte mich mit dem Finger in den Salon. Sein Blick kam mir merkwürdig vor.
    Genauso merkwürdig blickten mich der Zar und die Großfürsten an – als sähen sie mich zum erstenmal oder, sagen wir, als bemerkten sie zum erstenmal, daß auf der Welt ein Mensch namens Afanassi Sjukin existiert. Das gefiel mir gar nicht.
    »Du verstehst doch Französisch?« fragte Großfürst Kirill. »Da, lies.«
    Nicht ohne Beben entfaltete ich das Blatt und las:
     
    Die Bedingungen sind akzeptiert, doch der Preis pro Tag Verzögerung beträgt eine Million. Morgen drei Uhr nachmittags fährt Ihr Mittelsmann allein, in offener Kutsche auf dem Sadowoje-Ring vom Kalugaer Platz in Richtung Shitnaja-Straße. Das Geld hat er in einem Koffer bei sich, in Fünfundzwanzigrubelscheinen. Bei den kleinsten Anzeichen eines falschen Spiels fühle ich mich aller Verpflichtungen enthoben und werde Ihnen den Prinzen retournieren – wie ich schon versprach, in Einzelteilen.
    Und noch etwas. Mittelsmann soll der Diener sein, der im Park dabei war: mit Warze auf der Wange und Hundebart.
    Aufrichtig Ihr
    Doktor Lind
     
    Das erste, was ich empfand, war Kränkung. Favoris de chien? So nannte er meinen gepflegten Backenbart!
    Erst dann erreichte mich der erschreckende Sinn des Schreibens.

 
    8. Mai
    Nach langen Telephonaten zwischen dem Petrowski-Schloß, der Residenz des Generalgouverneurs und der Eremitage wurde Oberst Karnowitsch mit der Leitung der Operation beauftragt. Der Moskauer Polizeipräsident erhielt die Order, jede erdenkliche Unterstützung zu leisten, und Fandorin fiel die etwas fragwürdige Rolle des Beraters zu, und zwar auf Drängen des Großfürsten Georgi, der nach der Rettung seiner Tochter fest an die ungewöhnlichen Fähigkeiten des ehemaligen Beamten für Sonderaufträge glaubte.
    Über Karnowitsch wußte ich kaum etwas, denn dieser rätselhafte Mann war erst unlängst am Fuße des Throns aufgetaucht. Weder dem Alter noch dem Rang oder den Verbindungen nach hätte ihm diese, man kann schon sagen, Schlüsselposition zugestanden, zumal er bis zu seiner hohen Ernennung lediglich eine Gouvernementverwaltung der Gendarmerie geleitet hatte. Doch nach der sensationellen Aufdeckung einer anarchistischen Terrororganisation galt der junge Oberst als aufgehender Stern der politischen Fahndung. Und bald leitete der stille, unauffällige Herr, der seine Augen stets hinter blauen Brillengläsern verbarg, die Hofpolizei Seiner Majestät – ein wahrhaft erstaunlicher Aufstieg, der Karnowitsch nicht gerade das Wohlwollen der Höflinge eintrug. Obwohl, wer von den Chefs der Hofpolizei, die von Amts wegen bestens über die Schwächen und Geheimnisseder dem Thron nahestehenden Personen informiert waren, hätte jemals die Sympathie des Hofes genossen? Das brachte der Posten so mit sich.
    Polizeipräsident Lassowski hingegen war in beiden Hauptstädten eine bekannte und fast legendäre Gestalt. Die Zeitungen von Petersburg (die von Moskau wagten es nicht) schilderten genüßlich die Schrullen und Eigensinnigkeiten dieses neuen Archarow 11 : seine Fahrten in seiner stadtbekannten Kutsche mit den besten Pferden von ganz Moskau, sein besonderes Interesse für die Feuerwehr, seine ausgeprägte Strenge gegenüber den Hausmeistern, seine berühmten Befehle, die täglich in den »Moskauer Polizeinachrichten« abgedruckt wurden. Ich hatte selbst am Morgen in dieser unterhaltsamen Zeitung gleich auf der ersten Seite den folgenden Befehl gelesen:
     
    Bei der Inspektionsfahrt am 7. Mai festgestellt: Auf dem Woskressenskaja-Platz gegenüber dem Großen Moskauer Gasthaus stank es nach verfaulten Heringen, die von den Hausmeistern nicht weggeräumt worden waren; um 5 Uhr 45 führten am Triumph-Tor zwei Nachtwächter müßige Gespräche; um 13 Uhr zwanzig war an der Ecke Große Twerskaja-Jamskaja und Triumph-Platz der Schutzmann nicht auf seinem Posten; um 22 Uhr hatte der Schutzmann von der Kreuzung Twerskaja-Straße Ecke Woskressenskaja-Platz

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