Entführung des Großfürsten
geschmacklos und werde fürderhin bei keiner Zeremonie Brillanten, Saphire, Perlen, Gold und sonstigen eitlen Zierat anlegen. Dabei berief sie sich auf die Heilige Schrift, wo geschrieben stehe: »Ein guter Ruf ist köstlicher denn großer Reichtum, und Gunst besser denn Silber und Gold.« Nach dieser Drohung mußte sich die Zarinmutter von den Pretiosen trennen. Soweit mir bekannt war, hatte Alexandra Feodorowna den gesamten Inhalt des coffret mit nach Moskau gebracht, um auf zahlreichen Bällen, Empfängen und Zeremonien vor ihren Untertanen und vor ausländischen Gesandten in vollem Glanz zu erstrahlen.
Ich mußte mich unverzüglich zu dem Großfürsten Georgi durchdrängen.
Bevor ich von der Kutsche der Zarinmutter zur berittenen Gruppe der Großfürsten weiterlaufen konnte, mußte ich innehalten, denn der Zug hatte gerade den Triumph-Platz erreicht, und mein Manöver wäre zu sehr aufgefallen. Die Uhr zeigte halb zwei. Es blieb nur noch wenig Zeit.
Eine günstige Gelegenheit bot sich, als von einem Eckhaus der Twerskaja-Straße Raketen in den Himmel stiegen und eine Schleppe bunten Rauchs hinter sich her zogen. Die Leute blickten wie auf Kommando nach oben und jubelten, da lief ich rasch nach vorn und suchte Deckung zwischen den Pferdekruppen. Laut Zeremoniell wurde jedes Pferd, auf dem ein Großfürst ritt, von einem Hofkavalier am Zügel geführt. Ich sah den Großfürsten Pawel, sein Blick war traurig, das Gesicht schimmerte grünlich; neben ihm schritt, rosig und munter, Endlung.
»Afanassi«, rief mich kläglich Seine Hoheit an. »Ich kann nicht mehr. Bring mir Gurkenlake. Bei Gott, ich muß mich gleich übergeben.«
»Halten Sie durch, Euer Hoheit«, sagte ich. »Gleich sind Sie im Kreml.«
Und ich eilte weiter. Ein gesitteter Herr sah mich konsterniert an, er gehörte wohl, nach den roten Paspeln an den Ärmelaufschlägen und nach den Knöpfen mit Jagdhörnern zu urteilen, zu den Jägermeistern, deren Zahl unter dem neuen Zaren so zugenommen hatte, daß man sich nicht alle merken konnte.
Die drei Onkel Seiner Majestät bildeten die erste Reihe des großfürstlichen Geleits. Ich zwängte mich durch zu dem rötlichen Tekinzer-Hengst des Großfürsten Georgi, griff nach dem Zügel, womit ich dem Stallmeister Graf Anton Opraxin ins Gehege kam, und reichte Seiner Hoheit schweigend den Brief von Lind.
Als er die Locke sah, verfärbte er sich. Rasch überflog erdie Zeilen, gab dann dem Tekinzer die Sporen und setzte in schlankem Trab der einsamen Figur des Zaren nach. Der Graf ließ entsetzt die Zügel los. Ich ebenfalls.
Es stand außer Zweifel, daß jetzt in der internationalen Politik ein wahrer Sturm losbrechen würde. Chiffrierte Depeschen würden umgehend an ausländische Höfe und Regierungen abgehen: General-Admiral Georgi Alexandrowitsch demonstriert seine besondere Stellung am Hof, und wahrscheinlich kann er fortan als die einflußreichste Person des Russischen Imperiums gelten. Sei’s drum.
Stolz einen Arm in die Hüfte gestemmt, wie sein Neffe, näherte sich Seine Hoheit langsam dem Zaren, bis er fast neben ihm ritt. Die korpulente Gestalt des General-Admirals wirkte weitaus majestätischer als die schmale Silhouette des Zaren. Am Zittern des prächtigen Schnurrbarts erriet ich, daß der Großfürst, ohne den Kopf zu wenden, seinem Neffen Mitteilung von dem Brief machte. Der Kopf des Zaren ruckte spürbar zur Seite, dann bewegte sich auch sein Schnurrbart, der jedoch nicht so prächtig wie der seines Onkels war, und Großfürst Georgi ließ sich zurückfallen, bis er wieder auf Höhe seiner Brüder war.
Da ich ganz in der Nähe war, hörte ich, wie Großfürst Kirill wütend zischte: »Tu es fou, Georgie, ou quoi?« 12
Ich weiß nicht, ob die Moskauer bemerkten, daß der feierliche Zug, als er in die Twerskaja einbog, das Tempo wesentlich beschleunigte, jedenfalls passierte der Zar bereits zwanzig Minuten später das Spasskije-Tor, und eine Viertelstunde darauf verließen mehrere geschlossene Kutschen die Auffahrt des Großen Kreml-Palastes.
Die Personen, die in das Geheimnis eingeweiht waren, eilten in die Eremitage zu einer außerordentlichen Beratung.
Dieses Mal erschien auch die Zarin im kleinen Salon, denn von ihrer Entscheidung hing alles ab.
Da ich in aller Eile einen leichten Imbiß, Kaffee, Mineralwasser und Orangeade für Ihre Majestät (nichts macht so hungrig und durstig wie ein langer Festumzug) vorbereitete, versäumte ich den Anfang der Erörterung und setzte
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