Entführung des Großfürsten
den Verlauf im nachhinein aus den Repliken der Anwesenden zusammen.
So hatte es wohl in meiner Abwesenheit eine heikle Auseinandersetzung mit der Zarin bezüglich der Saphirschleife gegeben. Als ich eintrat, war Ihre Majestät zwar noch zornig, hatte sich jedoch mit dem Unvermeidlichen abgefunden.
»Aber Seine Majestät hat mir versprochen, daß ich das Schmuckstück heil und unversehrt zurückbekomme«, sagte sie bei meinem Eintreten gerade streng zu dem Polizeipräsidenten Lassowski.
Aus diesen Worten, ebenso aus der schmollenden Miene von Oberst Karnowitsch schloß ich, daß nach dem gestrigen Fehlschlag die Leitung der Operation nun der Moskauer Polizei übertragen worden war. Fandorin war auch anwesend, wohl in seiner Funktion als Berater.
Ihre Majestät, die keine Zeit gehabt hatte, sich umzuziehen, trug noch ihr Festkleid aus weißem Brokat, über und über mit Edelsteinen besetzt, dazu ein schweres Brillantkollier. Die Großfürsten waren nicht dazu gekommen, die Sterne, Ordensbänder und Andreasketten abzulegen, und in dem kleinen bescheidenen Zimmer war ein buntes Geflimmer und Geglitzer wie in einem Lagerraum für Christbaumschmuck.
»Ich bürge mit meinem Kopf dafür, Euer kaiserliche Majestät«, entgegnete Lassowski bravourös. »Die Saphire werden nicht verlorengehen, wir werden Michail Georgijewitsch befreien und die ganze Bande festsetzen.« Er rieb sich unternehmungslustig die Hände, und bei dieser vulgären Geste rümpfte Alexandra Feodorowna leicht die Nase. »Der Erfolg ist uns sicher, denn diesmal hat sich dieser Schurke Lind selbst eine Falle gestellt. Wenn Sie gestatten, erläutere ich Ihnen meinen Plan.«
Er schob alle Gläser und Tassen, die ich gerade sorgfältig aufgestellt hatte, beiseite, ergriff eine gestärkte Serviette und legte sie in die Mitte des Tisches.
»Das ist der Arbat samt Umgebung. Die Gouvernante wird hier, an der Kleinen Afanassjew-Gasse, aus der Kutsche steigen, dann wird sie zögern, als könne sie sich nicht entschließen, und in die Große Afanassjew-Gasse einbiegen, von dort in die Siwzew Wrashek, dann …«
Er zählte noch lange alle möglichen Gassen auf, die er auf einem Zettel notiert hatte. Alle hörten aufmerksam zu, obwohl Ihre Majestät, nach der Ekelfalte am Mund zu urteilen, offenbar abgelenkt war von dem Schweißgeruch, der dem erhitzten Polizeipräsidenten entströmte.
»Kurzum – ich habe ausgerechnet, daß sie auf ihrem Weg neunzehn Straßenabschnitte passiert, zweihundertdreißig Häuser.« Lassowski blickte den Zaren triumphierend an und sagte prononciert: »Und in jedem Haus wird einer meiner Männer sein
.
In jedem! Das bereiten meine Assistenten jetzt vor. Also wird sich die Gouvernante bei aller scheinbaren Zufälligkeit der Route ständig in unserem Blickfeld befinden, was den Verbrechern jedoch verborgen bleibt, denn die Geheimpolizisten, Agenten und verkleideten Schutzleutewerden sich in den Häusern, in Wohnungen aufhalten. Wenn sie die ganze Route abgegangen ist, ohne daß sich ihr jemand nähert, wird sie eine zweite Runde drehen, eine dritte, so viele wie nötig.«
»Schlau ausgedacht, nicht wahr?« erkundigte sich Großfürst Simeon selbstzufrieden, sehr stolz auf seinen Polizeipräsidenten.
»E-Erlauben Sie, Oberst«, ließ sich plötzlich Fandorin vernehmen. »Sind Sie sicher, daß Mademoiselle Déclic, die zum erstenmal in Moskau ist, sich die komplizierte Route merken kann?«
Lassowski runzelte die Brauen.
»Ich werde mich persönlich mit ihr in einem Zimmer einschließen und ihr alle Ecken und Kreuzungen eintrichtern. Wir haben dafür eine ganze Stunde Zeit.«
Fandorin schien mit der Antwort zufrieden zu sein und stellte keine weiteren Fragen.
»Wir müssen die Saphirschleife holen lassen«, sagte der Zar seufzend. »Möge Gott uns beistehen.«
Um halb fünf verließ die Gouvernante mit bleichem, doch entschlossenem Gesicht ihr Zimmer, um in die Equipage zu steigen, wo zwei Gendarmerie-Offiziere in Zivil sie erwarteten. Im Korridor trat Fandorin auf sie zu. Ich stand in der Nähe und hörte jedes Wort.
»Von Ihnen, gnädiges Fräulein, wird nur eines verlangt«, sagte er sehr ernst, »das Leben des Jungen keiner Gefahr auszusetzen. Seien Sie aufmerksam, das ist Ihre einzige Waffe. Ich weiß nicht, was Lind sich diesmal a-ausgedacht hat, aber lassen Sie sich von Ihrem eigenen Verstand leiten, hören Sie auf niemanden und vertrauen Sie niemandem. Der Polizeigeht es weniger darum, das Leben Ihres Zöglings zu
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