Entfuehrung nach Gretna Green
Stelle der Unterhaltung mischte sich Chambers ein. „Doch, es gibt welche, und eine davon ist ein guter, heißer Grog. “ Sehnsüchtig schaute Ravenscroft in seinen leeren Becher. „Das war einfach großartig. Aber außer ’nem heißen Grog gibt es nix Sicheres auf der Welt.“
„Oh, mir fallen schon noch ein paar andere sichere Dinge ein“, behauptete Chambers. „Die Sonne geht jeden Morgen auf, nicht wahr?“
„Im Moment is’ sie nicht da.“
„Doch, das ist sie. Sie hat sich nur hinter den Wolken versteckt.“
„Oh.“ Ravenscroft stützte den Arm auf sein Knie und das Kinn in seine Hand. „Vielleicht.“
„Und dann sind da noch die Frauen“, fügte Chambers in nachdenklichem Ton hinzu. „Die ändern sich nie, das ist schon einmal sicher.“
Ravenscrofts kurzes Auflachen klang bitter. „Man kann nie Vorhersagen, was eine Frau tun wird! Seh’n Sie sich zum Beispiel Miss Venetia an. Vor noch nich’ mal zwei Wochen hat sie wie verrückt mit mir geflirtet... “
„Geflirtet?“, wiederholte Gregor in zweifelndem Ton und schaute von den Spitzen seiner Stiefel auf, die er nachdenklich betrachtet hatte. „Venetia flirtet niemals.“
„Sie hat mir gesagt, dass ich wunderbare Gedichte schreibe. Schönere als dieser Byron.“
„Was soll das mit Flirten zu tun haben? Selbst ich könnte bessere Gedichte als dieser Knabe Byron schreiben. Wahrscheinlich hatte Venetia Mitleid mit Ihnen und hat Sie zu einem ihrer Projekte gemacht.“
Voll Entsetzen riss Ravenscroft die Augen auf. „So wie Miss Platt!“
„Genau so. Ich bin mir nicht sicher, warum Venetia dieses kleine Theaterspiel angezettelt hat, aber sie verfolgt wohl irgendeinen Plan damit.“
„Ich sag Ihnen, worum’s geht“, erklärte Ravenscroft in kläglichem Ton. „Venetia bat mich, nett zu der alten Sch-schachtel zu sein, weil sie dachte, das würd Miss Platts Selbstbewusstsein stärken, und sie würd dann mehr Mut ham, sich gegen Mrs. Bloom durchzusetzen.“
„Darum geht es also! stellte Gregor fest, zufrieden, endlich den Hintergrund für all das Getue herausgefunden zu haben. „Miss Platt scheint es jedenfalls sehr zu genießen, Sie um sich zu haben.“
„Das genau ist das Problem“, erklärte Ravenscroft trübsinnig. „Heute Nachmittag hat Venetia mich gewarnt, weil Miss Hicks, weil Miss Higganbotham in Miss Platts Gegenwart erklärt hat, dass ein Mann den Wunsch hat, ’ne Frau zu heiraten, wenn er sie auf ’ne bestimmte Weise ansieht.“
„Ansieht?“, wiederholte Gregor verblüfft.
„Ja. Könn’n Sie sich vorstell’n, wie schrecklich es sein muss, wenn Ihr Blick beim Abendessen zufällig auf ’ne Frau fällt, und sie läuft am nächsten Tag in der ganzen Stadt herum und erzählt überall, dass Sie verrückt nach ihr sind, obwohl Sie sich nur nach dem Salzstreuer umgeschaut ham?“
„Wie schauderhaft“, sagte Gregor mitleidlos. „Aber so etwas kommt eben dabei heraus, wenn Sie sich auf Venetias Pläne einlassen.“
„Aber ... sie hat mich gebeten, es zu tun. Wie könnt’ ich ihr das abschlagen?“
„Etwa so: ,Nein, ich habe nicht die Absicht, mich in Ihre verrückten Pläne hineinziehen zu lassen.“ Vielleicht möchten Sie das üben, bevor Sie das nächste Mal mit ihr reden.“
„Ich würd es nich’ über mich bringen, ihr einen Wunsch abzuschlagen!“
„Wie um alles in der Welt haben Sie es denn dann über sich gebracht, sie zu entführen? Was Sie sagen, ergibt keinen Sinn.“ „Ich habe es nich’ als Entführung gesehen; ich d-dachte, sie liebt mich.“
„Wären Sie wirklich davon überzeugt gewesen, dass sie Interesse an Ihnen hat, hätten Sie sie nicht anlügen müssen, um sie in die Kutsche zu bekommen.“
„Glauben Sie, wenn ich ihr unter romantischeschen, äh, unter romantischeren Umständen einen Heiratsantrag gemacht hätte, hätt’ sie Ja gesagt?“, fragte Ravenscroft nach kurzer Überlegung. „Vielleicht wenn ich ihr Blumen geschenkt hätte und vor ihr niedergekniet wäre? Frauen mögen das, wie Sie wissen. Ganz besonders Frauen wie Venetia.“
„Humbug!“
Chambers hörte für einen Moment auf, im Grog herumzurühren und warf Gregor einen prüfenden Blick zu.
„Ich brauche noch etwas zu trinken“, verkündete Gregor, nachdem er vergeblich versucht hatte, den Kloß hinunterzuschlucken, den er im Hals spürte.
Sofort füllte Chambers seinen Becher neu.
Die heiße Flüssigkeit verbrannte Gregors Mund, aber der Alkohol half ihm, seine Gedanken zu sammeln. „Sie sind
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