Entfuehrung nach Gretna Green
er sich ab. Was hatte er erwartet? Dass Venetia reumütig durchs Fenster nach ihm Ausschau hielt? Er schnaubte verächtlich, griff nach der Stalltür, stieß sie auf, trat ein und schloss die Tür ebenso rasch wieder hinter sich. Auf den ersten Blick wirkte der Stall leer, aber Stimmengemurmel und der Schein einer Laterne aus dem hinteren Teil des großen Raumes zeigten Gregor, dass jemand da war.
Natürlich war Ravenscroft hier. Der junge Mann hatte das Gasthaus nach dem Frühstück verlassen, wahrscheinlich um der weiblichen Übermacht aus dem Wege zu gehen - ganz besonders Miss Platt, die ihm praktisch an den Lippen hing.
Gregor ging auf den Lichtschein am anderen Ende des Stalls zu und blieb dabei ab und zu stehen, um den Pferden, die ihm aus den Boxen ihre Köpfe entgegenstreckten, die Nüstern zu streicheln. Ein großer, kräftiger Brauner schnaubte, als Gregor sich näherte. Er rieb die Nase des Tiers und erhielt als Belohnung einen spielerischen Stoß gegen den Arm. „Na, sticht dich der Hafer?“
Hinter einer Ecke ganz hinten im Stall tauchte Ravenscrofts Kopf auf. „Hallo, MacLean! Komm’n Sie un’ leisten Sie uns Gesellschaft! Ihr Reitknecht Chambers und ich trinken grad ’nen köstlichen Grog.“ Ravenscrofts lallender Stimme war der Rum deutlich anzuhören.
„Ist es nicht noch ein bisschen früh für Grog?“, wunderte sich Gregor, während er auf Ravenscroft zuging.
In der hintersten Ecke des Stalls standen einige Fässer um einen kleinen Ofen herum, in den Chambers gerade Holz nachlegte. Auf dem Ofen dampfte ein Topf, und der köstliche Duft des Grogs waberte durch die Luft.
Chambers schloss die Ofentür und stellte das Schüreisen in einen Ascheimer aus Metall. „Es geht nichts über einen guten Grog, um die Kälte aus den Knochen zu vertreiben.“ Listig schaute der Reitknecht ihn an. „Ravenscroft hier hat gesagt, für seinen Geschmack gibt es zu viele Frauenzimmer drinnen im Gasthaus.“
Gregor brummte zustimmend.
„Ich dachte mir, Sie kommen früher oder später auch hierher“, stellte Chambers nickend fest.
„So is’ es“, lallte Ravenscroft. „Er hat uns all’n gesagt, Sie würd’n kommen un’ hat dafür gesorgt, dass wir das beste Fass für Sie freihalt’n.“ Ravenscroft torkelte zurück zu seinem eigenen Fass und machte Gregor per Handzeichen klar, dass das Fass neben seinem das für ihn freigehaltene war. ,,Is’ das hier nich’ der beste Salon im ganzen Gasthaus?“, fragte er mit leuchtenden Augen. „Hat Miss Oglivie mich schon vermisst?“ „Nein.“ Gregor machte es sich auf dem Fass bequem. „Warum soll denn dieses Fass besser sein als Ihres?“
Ravenscroft stand auf, drehte sich um und beugte sich vor, um Gregor sein Hinterteil zu zeigen. „Holzsplitter.“
Mühsam unterdrückte Chambers ein Lachen. „Lord Ravenscroft, es ist nicht nötig, dass Lord MacLean Ihren, äh, Allerwertesten begutachtet.“
Ravenscroft ließ sich wieder auf sein Fass fallen und zuckte zusammen. „Das tut teuflisch weh. Das tut’s.“
„Warum sitzen Sie denn dann immer noch auf dem Ding?“ „Weil dieses Fass gleich neb’n dem Grogtopf steht.“ Ravenscroft suchte und fand seinen Becher, der auf den Boden gefallen war. Er hob ihn auf, starrte hinein, ließ seinen Finger um den Rand laufen und leckte ihn ab. Dann seufzte er. „Es is’ alles futsch.“
„Genau wie Sie“, stellte Gregor fest.
Der Reitknecht warf Gregor einen aufmerksamen Blick zu. „Sieht so aus, als hätte sich das Wetter beruhigt.“
„Schnee!“, schnaubte Ravenscroft. „Im April! Wer hat’n so was schon mal gehört?“
„Ja, wer wohl“, murmelte Chambers vor sich hin. Er griff nach einem leeren Becher, füllte ihn mithilfe einer kleinen Zinnkelle und reicht ihn Gregor. „Hier, Mylord. Damit Sie sich ein bisschen aufwärmen können.“
Gregor nahm den Becher, und durch die Berührung des warmen Metalls kehrte das Gefühl in seine vor Kälte tauben Fingerspitzen zurück.
„Wo ham Sie Ihren Mantel gelass’n?“, lallte Ravenscroft und setzte sich aufrechter auf seine Tonne.
„Im Haus“, erwiderte Gregor knapp.
Chambers zog eine Braue hoch. „Sie sind auf der Flucht, nicht wahr?“
„Was?“, rief Ravenscroft mit zorniger Stimme. „Häm diese ... diese Xanthippen Sie auch rausgeworf’n?“
„Niemand hat mich rausgeworfen. Ich bin aus meinem eigenen, freien Willen herausgekommen.“ Nach dem ersten Schluck von dem Grog breitete sich sofort Wärme in Gregors Körper aus.
„Sie
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