Entfuehrung nach Gretna Green
Stellen hatten sich lange Locken gelöst, fielen ihr in die Stirn und umrahmten ihr Gesicht. Ihre Haare waren viel länger, als er gedacht hatte, vielleicht reichten sie ihr sogar bis zur Taille.
Das war ein höchst interessanter Gedanke - und er zwang sich, ihn nicht weiter zu verfolgen. Als er sich abwandte, bemerkte er, dass Ravenscroft Venetia mit einem bewundernden und sehnsüchtigen Blick anstarrte. Automatisch sah auch Gregor wieder in ihre Richtung, wo die Sonne, die durchs Fenster ins Zimmer fiel, sie in goldenes Licht tauchte. Venetias cremefarbene Haut war ganz zart gebräunt, und die blassen Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken bettelten geradezu um einen Kuss.
In diesem Moment sah er sie wie eine Frau, der er noch nie zuvor begegnet war, und mit einem seltsamen Gefühl in der Magengrube wurde ihm bewusst, dass sie jeden der bewun-dernden Blicke verdient hatte, die Ravenscroft ihr zuwarf.
In der vergangenen Nacht hatte er lange wachgelegen und über das nachgedacht, was zwischen ihm und Venetia geschehen war. Er musste sich endgültig eingestehen, dass die Situation völlig verfahren war. Selbst wenn man seinen beklagenswerten. Mangel an Beherrschung am Vortag außer Acht ließ, war Venetia eine ruinierte Frau. Gregor hatte keinen Zweifel daran, dass die Tochter des Squires London im Sturm nehmen würde. Ihre Schönheit und die Beziehungen ihres Vaters würden sie zur Debütantin der Saison machen, und sie und ihr Vater würden in jedes der vornehmen Häuser, in denen auch Venetia ein und aus ging, eingeladen werden. Venetia würde es nicht vermeiden können, den beiden über den Weg zu laufen, und das hieß, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis Miss West enttarnt wurde.
Auch ihm, dessen war er sich sicher, würde die lautstarke und wortreiche Entrüstung der gesamten Londoner Gesellschaft entgegenschlagen, ebenso Ravenscroft - wenn der Dummkopf dann nicht längst auf dem Kontinent saß, weil er vermeiden wollte, Lord Ulster auf dem Feld der Ehre begegnen zu müssen.
Sie saßen alle drei in der Tinte, und er konnte nichts dagegen tun, dass es nur noch einen einzigen Weg gab, Venetia zu retten - er musste sie heiraten.
Selbst jetzt noch, nachdem er viele Stunden darüber nachgedacht hatte, krampfte sich sein Herz bei diesem Gedanken zusammen. Er hätte sich niemals träumen lassen, unter solchen Umständen zu heiraten, aber es gab keine andere Möglichkeit.
Er musste Venetia über seine Entscheidung informieren und beschloss, sie nach dem Abendessen um ein Gespräch unter vier Augen zu bitten.
„Lord MacLean!“ Der Squire sah ihn erwartungsvoll an.
„Entschuldigen Sie bitte. Ich war gerade in Gedanken versunken.“
Wissend ließ der Squire seinen Blick von Gregor zu Venetia und wieder zurück wandern. „Das schien mir auch so. Ich erwähnte gerade, dass wir morgen abreisen könnten, wenn wir uns zusammentun und die vorhandenen Pferde und die Kutsche gemeinsam benutzen.“
Gregor zwang sich, nicht in Venetias Richtung zu sehen. „Das ist eine hervorragende Idee. Ich möchte so bald wie möglich nach London zurückkehren.“
„Dann sind wir uns ja einig. Wir könnten einen Teil des Gepäcks vorerst hierlassen, und die Herren könnten hinter der einzigen fahrtüchtigen Kutsche herreiten.“
„Auf diese Weise könnten wir in die nächste größere Stadt gelangen“, stimmte Gregor ihm zu. „Irgendwohin, wo wir eine weitere Kutsche mieten können, um damit das restliche Gepäck zu holen. Dann könnten sich unsere Wege trennen.“
„So habe ich mir das vorgestellt.“ Der Squire nickte heftig. Mrs.Treadwell stürmte ins Zimmer. „Es ist eine Katastrophe. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.“
„Was ist passiert?“, erkundigte sich Mrs. Bloom besorgt. „Mit Elsies Zahn ist es schlimmer geworden, und sie kann das Essen nicht kochen.“
„Oh, wie schrecklich. Vielleicht sollte ich nach ihr sehen“, schlug Venetia besorgt vor.
„Das ist nicht nötig, Miss West. Ich habe ihr eine Menge Laudanum gegeben und ihr eine warme Zwiebel auf den Bauch gelegt, um ihre Schmerzen zu vertreiben. Es sollte mich wundem, wenn sie morgen früh nicht munter wie ein Vogel wäre“, erklärte Mrs. Treadwell voller Optimismus.
Venetia hoffte im Stillen, dass die Zwiebel nicht den von der Rübenwurzel erhofften Segnungen in die Quere kam. „Schläft sie jetzt?“
„Ja. Und mir ist erst jetzt aufgefallen, dass nun niemand da ist, der das Essen kochen kann.“
„Was ist mit Ihnen,
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