Enthuellung
und das macht mir Hoffnung, dass er noch hier ist. Das Geräusch gedämpfter Musik dringt in mein Bewusstsein, und Erleichterung überflutet mich. Ich weiß, dass ich nicht wirklich allein bin, und habe das Bedürfnis, nach Chris zu suchen.
Ich richte mich auf, und die Decke rutscht auf meinen Schoß herunter. Die kühle Luft streicht über meinen nackten Körper. Ich schlage die Decke zurück, finde Chris’ T-Shirt auf dem Boden und schaue auf die Uhr, um festzustellen, dass es fast fünf Uhr früh ist. Ich frage mich, wann sein Flug geht, und hoffe, dass es kein Frühflug ist. Aber so wird es wohl sein, da Chris wach ist. Die Vorstellung, ohne ihn hier zu sein, ist seltsam, und ich bin überrascht und erfreut über seine Freizügigkeit.
Nachdem ich mir sein T-Shirt über den Kopf gezogen habe, inhaliere ich den köstlichen Duft des Mannes, der jetzt schon so sehr zu meinem Leben gehört, und beschließe, dass ich das T-Shirt behalten werde, um darin zu schlafen, bis er zurückkehrt.
Barfuß tappe ich zur Tür und starre in das leere Wohnzimmer. Die Musik weist mir den Weg nach links und einen Flur hinunter, lang und schmal. Ich komme an mehreren geschlossenen Türen vorbei, und zu der ganz am Ende des Flurs geht eine Treppe hoch. Sie steht mehrere Zentimeter weit offen. Ich bin mir sicher, dass dies Chris’ Atelier ist, das ich unbedingt sehen wollte, und ich weiß, der offene Türspalt ist eine Einladung. Die Musik wechselt, und
You taste like sugar
, eine sexy Melodie von Matchbox Twenty, erklingt. Ich erinnere mich, dass Chris gesagt hat, er male zu Musik, und frage mich, wozu ihn dieser Song inspiriert. Es macht mich ganz kribbelig vor Neugier.
Plötzlich öffnet sich die Tür, und Chris steht da, mit nichts bekleidet als einer tief sitzenden Jeans. Er sieht aus, als würde
er
nach Zucker schmecken. Mein Blick wandert über die kräftigen Rot-, Blau- und Gelbtöne seiner Drachentätowierung, die harte Muskeln und straffe, gebräunte Haut bedeckt, und im Geist spiele ich etwas durch, das er vor nicht allzu langer Zeit zu mir gesagt hat.
Weißt du, was passiert, wenn du einen Drachen bedrängst? Er verbrennt dich bei lebendigem Leib, Baby. Du spielst mit dem Feuer.
Heute Nacht haben Chris und ich mit dem Feuer gespielt, ich habe ihn dazu gedrängt, dieser Drache zu sein, und die Art, wie er mich jetzt ansieht, die Art, wie er sieht, was ich ihn nicht sehen lassen will, verbrennt mich bei lebendigem Leib. In diesem Moment weiß ich, dass ich Chris nicht weiter bitten kann, mir zu zeigen, wer er ist, ohne selbst nicht bereit zu sein, ihm alles von mir zu offenbaren. Bei dieser Erkenntnis krampft sich mein Magen zusammen, weil es heißt, etwas zuzugeben, in dem ich nicht ganz ehrlich war, etwas zu gestehen, von dem ich nicht will, dass er es weiß. Etwas, von dem ich wünschte, ich könnte es für immer vergessen. Gleichzeitig liegt es mir schwer auf der Seele und scheint immer schwerer zu werden, wenn ich versuche, es wegzuwaschen.
Chris ergreift meine Hand, mein Blick begegnet seinem, und in seinen Augen glitzert es schelmisch. »Komm in die Höhle des Mannes, Baby.«
Ich muss kichern, erstaunt, wie schnell er meine düstere Stimmung verfliegen lässt. Ich liebe das an Chris.
»Höhle des Mannes?«
»Genau. Hast du Angst?«
»Ich glaube, es kommt darauf an, von welcher Art von Höhle wir reden. Hieß nicht der Raum, in den du mich in dem Club gebracht hast, die Höhle des Löwen?«
»Keine Sorge. Ich werde sanft sein.« Er wackelt mit einer Augenbraue und zieht mich an sich, und ich vergesse sofort die Höhle des Löwen und Marks Club. Ich stehe in einem riesigen kreisförmigen Raum, Fenster umgeben mich von allen Seiten, und die funkelnden Lichter der Stadt schließen sich wie ein Handschuh um mich. Ich habe das Gefühl, an der Reling eines gewaltigen Schiffs zu stehen und in einen Ozean nimmer endender Entdeckung zu stürzen.
»Es ist unglaublich«, flüstere ich und suche seinen Blick.
»Ich habe es dir ja gesagt«, erwidert er. »Das ist der Grund, warum ich das Apartment gekauft habe.«
»Ja. Ich verstehe.«
Er lässt mich los und lädt mich damit ein, auf Entdeckungstour zu gehen, und ich begebe mich in die Mitte dieses prächtigen Ateliers. Staffeleien stehen locker verteilt auf Ständern, über alle sind Tücher geworfen, und ich bin ganz aufgeregt bei der Aussicht, sie wegzuziehen und zu entdecken, was sie verbergen. Mein Blick fällt auf die Farbspritzer unter meinen Füßen, und ich
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