Enthuellung
früh aufgestanden und wollte dich nicht wecken. Bin im Krankenhaus. Ist alles in Ordnung?
Sofort schwebe ich wie auf Wolken und tippe:
Ja, wollte nur reden. Rufst du mich an, wenn du eine Pause hast?
Seine Antwort kommt sofort.
Hatte es bereits vor. Rufe dich in ungefähr einer Stunde an.
Danke,
antworte ich automatisch.
Danke? Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?
Ja. Zu viel Koffein.
Ich zögere und beschließe, dass es kein Dazwischen gibt.
Nicht genug von dir.
Ich werde dich zwingen, das wieder und wieder zu beweisen, wenn ich zurückkomme.
Das habe ich vor,
antworte ich und lege mein Handy weg, weil ich keine Antwort erwarte und auch keine bekomme.
Meine Freude sollte mich eigentlich beruhigen, aber sie entfacht meine Nervosität erst recht. Kann ich ihm wirklich alles erzählen?
10
Ich starre auf die Uhr und warte auf Chris’ Anruf, als Ava ins Café kommt. Da ich eine Ablenkung brauche, beobachte ich, wie sie an der Garderobe an der Tür stehen bleibt und ihre Jacke ablegt. Sie trägt eine schmale schwarze Hose mit einer roten Bluse, und ihr zerzaustes dunkles Haar ist atemberaubend, wie es ihr über den Rücken fällt. Vielleicht wirkt es auch nur aus der Entfernung so, aber ihre Haut scheint von einem makellosen Milchschokoladenton zu sein, obwohl sie gerade dem harschen Wind ausgesetzt war.
Ava entdeckt mich, winkt und kommt an meinen Tisch. Sie ist anmutig und hat eine lässige Zuversicht an sich, die ich ungeheuer bewundere. Ich bin sicher, dass Ava ihren Kaffee niemals verschütten würde, so wie ich es an meinem ersten Tag getan habe, als ich Chris hier im Café traf.
Ava lässt sich auf den Stuhl mir gegenüber gleiten, und wir wechseln ein paar freundliche Worte. Mein Laptop nimmt fast den ganzen Platz auf dem kleinen Tisch ein, und ich klappe den Deckel zu und lenke ihren Blick auf die Papiere vor mir.
»Weitere Hausaufgaben von Mark?«
Es trifft mich, dass sie ihn gerade beim Vornamen genannt hat, da niemand außer Chris das tut. Aber andererseits – wie sonst würde jemand, mit dem er bekannt ist, aber keinen Sex hat, ihn nennen?
»Ja«, bestätige ich und versuche, einen Anknüpfungspunkt zu finden, um festzustellen, wie gut Ava Rebecca kannte. »Ich frage mich, ob Rebecca das auch durchgemacht oder ob er sich diesen Spaß für mich ausgedacht hat. Er scheint die Ironie, dass eine Lehrerin Hausaufgaben macht, tatsächlich zu genießen.«
Sie lächelt. »Männer scheinen im Allgemeinen kleine Schullehrerinnenfantasien zu haben, nicht wahr?«, fragt sie, ohne auf Rebecca einzugehen.
Ich verziehe das Gesicht. »Meiner Erfahrung nach allenfalls die falschen Männer.«
»Ich glaube, Sie werden merken, dass die Fantasien zumindest eines Mannes es wert sind, entdeckt zu werden. Vielleicht die eines gewissen sexy Künstlers, den wir beide kennen und nach dem wir beide ganz verrückt sind?«
Ihre Frage lässt meine Haut brennen. Wahrscheinlich will sie tratschen und sagt Dinge, die Frauen eben über einen heißen Mann sagen, und dennoch lodert Eifersucht in mir auf. Erfolglos versuche ich, sie zu unterdrücken.
»Tatsächlich«, bemerke ich ein wenig heiser und bemüht um einen Themenwechsel, »habe ich heute wirklich einen Künstler im Kopf. Sind Sie mal Ricco Alvarez begegnet?«
»Ich kenne ihn, ja. Er kam früher ziemlich regelmäßig vorbei und hat Small Talk gemacht.«
»Dann wissen Sie, dass er sich nicht mehr von der Galerie vertreten lässt?«
»Hat er nicht gerade die Wohltätigkeitsveranstaltung gemacht?«
»Ja, aber anscheinend wurde das vereinbart, bevor Rebecca gegangen ist. Mit ihrem Weggang hat er der Galerie den Rücken gekehrt.«
»Autsch. Ich wette, Mark ist nicht glücklich darüber, aber Rebecca hat Alvarez verhätschelt. Ich nehme an, das ist seine Art, seine Wut darüber an Mark auszulassen.«
»Rebecca hat ihn verhätschelt?«, wiederhole ich in der Hoffnung, brauchbare Informationen zu bekommen.
»Nun, das habe ich zumindest so mitbekommen. Während der Bürozeiten bediene ich ja alle. Sie schnappen sich einen Kaffee, und wir kommen ins Gespräch. Rebecca kam wegen diesem oder jenem Verkauf aufgeregt herüber, und sie hat auch über Ricco gesprochen. Sie hatte einen ziemlichen Beschützerinstinkt, was ihn betraf, und schien sein künstlerisches Temperament zu verstehen, was sonst niemand tat.« Sie erschauert. »Es kam mir ein wenig merkwürdig vor. Beinahe so, als hätte sie bei ihm ein Vatersyndrom, dabei hat er, obwohl er in den Vierzigern ist
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