Enthuellung
hier.«
»Und was ist, wenn du damit nicht fertigwirst?« Kein Verleugnen dessen, was ich gesagt habe.
Plötzlich wird mir ganz eng in der Brust. Das ist es, wovor er Angst hat, was er fürchtet. Dass ich nicht mit allem fertigwerden kann, was ihn ausmacht. »Wir beide müssen darauf vertrauen, dass ich es kann. Ich will nicht, dass wir uns trennen und uns hinterher fragen, ob es daran liegt, dass ich es nicht versucht habe.«
»Du kannst damit nicht fertigwerden.«
»Okay«, antworte ich heiser, der Druck auf meiner Brust wird stärker und schmerzhaft. »Dann war es das wohl.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass du bereits weißt, dass ich nicht das bin, was du brauchst. Ich weiß, dass ich es nicht bin. Lass es uns nicht länger hinziehen, als wir müssen. Ich werde packen, und …«
»Nein, du wirst nicht packen. Du wirst nicht fortgehen. Nicht nach dem Zwischenfall in der Lagerhalle.«
Vor Angst greife ich mir an die Kehle. Hatte er vor, mit mir Schluss zu machen, aber die Geschichte in der Lagerhalle hat ihn aufgehalten? »Du schuldest mir keinen sicheren Ort, an dem ich bleiben kann. Ich brauche keinen Wohltäter, Chris.«
»Das habe ich nicht gemeint. Verdammt, Sara. Ich will nicht, dass du gehst.«
Ich leide. Ihm geht es nur um Schmerz, und jetzt geht es mir ebenfalls darum. »Wollen, brauchen. Richtig, falsch. Alle machen mich fertig, und ich bin es leid, ein einziges Nervenbündel zu sein, Chris. Wir, dies, für uns – es wird mich alles zerstören, wenn wir so weitermachen.«
»Du wirst mich zerstören, wenn du mich verlässt, Sara.«
Mehr Schmerz. Sein Schmerz diesmal. Er schimmert durch seine Worte und schlängelt sich tief in meine Seele, wie Chris es getan hat. Und in diesem Moment glaube ich, dass er mich so braucht, wie ich ihn brauche. »Ich will nicht gehen«, flüstere ich.
»Dann tu es nicht.« Seine Stimme ist ein sanftes Flehen und entblößt die verletzliche Seite an ihm, die so selten zutage tritt und der ich einfach nicht widerstehen kann. »Ich werde heute Abend nach Hause kommen, und wir werden das gemeinsam regeln.«
»Nein«, wende ich hastig ein. »Tu das nicht. Dass du es willst, ist genug. Ich werde bei dir sein, wenn du nach Hause kommst. Ich verspreche es. Ich werde bei dir sein.«
»Ich kann morgen früh zurückfliegen.«
»Nein, bitte. Was du dort tust, ist so wichtig, und ich muss morgen ohnehin bis spätabends arbeiten.«
»Ich komme nach Hause.« Eine Stimme ruft von ferne seinen Namen, und er fügt hinzu: »Ich muss Schluss machen. Ich werde dich vielleicht nicht wieder anrufen können, aber wir sehen uns, wenn ich wieder zu Hause bin.«
»Ich kann dir das nicht ausreden, oder?«
»Keine Chance.«
Wir sagen uns kurz auf Wiedersehen, gezwungenermaßen, weil wieder jemand nach ihm ruft, und als ich höre, dass die Leitung tot ist, lasse ich den Kopf an die Holztür hinter mir sinken. Ich bin viel zu glücklich darüber, dass Chris sich selbst durch die Hölle schickt, um mich heute Nacht zu sehen, und er ist viel zu bereitwillig, es zuzulassen.
Was tun wir einander an? Und warum kann keiner von uns aufhören?
Nachdem ich mich etwas gesammelt habe, verlasse ich die Toilette, und eine Spannung, die in der Luft liegt, lässt mich innehalten. Ich hebe den Blick und suche nach der Quelle. Als ich Mark entdecke, der seitlich an der Theke steht, schnürt sich meine Kehle zu. Er redet mit Ava. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber Ava wirkt nicht glücklich, und sie wirkt noch weniger glücklich, als Mark sich zu ihr vorbeugt, vertraulich nah an ihr Ohr, um zu beenden, was immer er gerade sagt. Hinter ihrer Beziehung steckt mehr, als ich gedacht habe, und ich frage mich, ob ich irgendeinen dieser Leute, mit denen ich jetzt zu tun habe, auch nur ein bisschen kenne.
Ava schaut auf, unsere Blicke treffen sich. Ich begreife, dass ich sie nicht nur anstarre, sondern auch dabei ertappt worden bin. Ich reiße mich los und eile an meinen Tisch, und dabei spüre ich Marks Blick auf mir, intensiv und lastend. Ich frage mich, ob die anderen Gäste hier verstehen, dass die Macht, die die Luft auflädt, von ihm ausgeht. Er fordert den Raum für sich, einfach indem er da ist. Oder spüren sie nur dieses nicht identifizierbare Knistern, das auch ich gefühlt habe, als ich aus der Toilette kam?
Ich suche meine Sachen zusammen und bereite mich darauf vor zu erklären, warum ich hier bin statt in der Galerie. Ich rechne fest damit, dass Mark auf meinen Tisch zukommt, aber
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