Enthuellung
fahren und sich die dringend nötige Ruhe zu gönnen.
Drei Stunden später haben Chris und ich uns neben Dylans Bett auf einem Krankenhaussessel zusammengekuschelt. Chris’ Gemälde von Freddy und Jason lehnt auf einem Rolltisch. Der Horrorfilm endet. Dylan hat nicht aufgehört, über meine schrillen Angstlaute und Klagen zu lachen, und sein Vergnügen ist Musik in meinen Ohren. Er ist ein so wunderbares Kind. Er verdient es zu leben.
Chris greift nach der Fernbedienung des DVD -Players, schaltet ihn ab und schaut auf die Uhr. »Es ist elf. Du solltest besser schlafen, Dylan.«
Ich verziehe das Gesicht. »Schlaf für uns beide, Dylan. Ich werde selbst bestimmt kein Auge zutun.«
Dylan lacht und kuschelt sich ins Bett. »Bleibt ihr hier, bis ich einschlafe?«
Chris und ich wechseln einen Blick, und ich nicke. »Wir sind gleich neben dir, Kumpel«, versichert Chris ihm und klappt die Lehne des Krankenhaussessels in Liegeposition herunter. Ich schmiege den Rücken an seine Brust, und er legt den Arm um mich.
Dylan dimmt das Licht mit dem Knopf an seinem Bett, und ich schließe die Augen. Ich bin erschöpft. Es war ein irrsinnig verrückter Tag, voller Schrecken, Aufregungen und unerwarteter Wendungen.
»Ich bin froh, dass du hier bist«, flüstert Chris mir ins Ohr und sendet damit einen Schauer über mein Rückgrat.
»Ich auch«, wispert Dylan, der Chris’ Bemerkung offensichtlich gehört hat.
»Ich auch«, antworte ich beiden. Es war ein Tag voller Schrecken, Aufregungen, unerwarteter Wendungen und bittersüßer Entdeckungen.
18
Er ist alles, was ich bin, und alles, was ich nicht bin. Ich erinnere mich nicht daran, wo ich aufhöre und er anfängt oder wo er aufhört und ich anfange. Er ist mein Meister. Ich bin seine Sklavin. Ich mühe mich, mich daran zu erinnern, wer ich war, bevor er da war. Es ist beängstigend festzustellen, dass ich mich ihm so vollkommen hingeben kann, obwohl ich weiß, dass er nicht das Gleiche für mich getan hat. Was werde ich sein, wenn er fort ist? Lasse ich es darauf ankommen herauszufinden, dass die Antwort
nichts
lautet? Und was wird er tun, wenn ich ihm sage, dass ich fortgehe?
Ich schrecke aus dem Schlaf hoch, einen der letzten Furcht einflößenden Tagebucheinträge im Kopf. Sonnenlicht fällt in das leere Krankenhauszimmer, und ich begreife, dass Dylan und Chris fort sind.
Ein Stück Papier knistert unter meiner Hand, und ich hebe es hoch und sehe Chris’ Schrift.
Habe Dylan zu einem geheimen Treffen in der Küche und einem Stapel Pfannkuchen mit Schokoladencreme hinausgeschmuggelt. Wir müssen bis zehn im Hotel sein und geduscht haben. Die Krankenschwester hat dir im Badezimmer ein paar Sachen zum Frischmachen dagelassen.
Es ist acht Uhr morgens. Unglaublich, dass Chris und ich dermaßen erschöpft waren und im Sessel eingeschlafen sind. Ich stehe auf, recke mich und gehe ins Badezimmer, wobei ich mein Handy mitnehme, falls Chris anruft. Auf dem Waschbecken liegt ein kleiner Beutel mit Toilettengegenständen und darunter eine zusammengefaltete Zeitung, die ich offensichtlich lesen soll. Ich greife danach und entdecke ein Foto von mir mit Chris und Dylan, und Chris hat danebengekritzelt:
Mark sollte glücklich sein.
Ich runzle die Stirn, bis mir ein Licht aufgeht. Oh ja, Mark wird glücklich sein. Chris und ich haben
Allure
-Shirts an, sie sind deutlich zu sehen. Ich mache ein Foto von dem Zeitungsbild und simse es Mark. Ich habe meine Zahnbürste kaum aus der Schutzfolie genommen, da antwortet er bereits.
Das Shirt sieht an Ihnen besser aus als an Chris.
Ich starre auf die Nachricht und muss auflachen. Huh. Eine dieser unkonventionellen Antworten, mit denen Mark auf E-Mails reagiert und anscheinend auch per SMS . Es steckt mehr in ihm als dieses steife »Ms McMillan hier, Ms McMillan da«, und ich frage mich, ob er wirklich der Mann und Meister aus den Tagebüchern ist. Irgendwie kann ich ihn nicht als den Meister sehen, über den Rebecca geschrieben hat, wenn er solche Scherze macht oder eine E-Mail mit einem Zitat aus
Die Tribute von Panem
beantwortet. Ich tippe eine Antwort und lösche sie zweimal, dann greife ich nach meiner Zahnbürste. Warum mache ich mir wegen einer SMS an Mark Gedanken?
Einige Minuten später habe ich mein Haar in Ordnung gebracht, und meine Augen – braun wie mein Haar – scheinen meine ohnehin blasse Haut noch zwei Schattierungen blasser zu machen. Aber es spielt keine Rolle, anders als noch vor vierundzwanzig Stunden. Diese Kids zu
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