Enthüllung
nach den ersten Sätzen wurde Sanders schlagartig bewußt, daß man mit dem Artikel in erster Linie unterne h menspolitische Zwecke hatte erfüllen wollen – durch ihn sollte der Brückenkopf für die Landung im Juni erkämpft werden. Dieser Artikel war ein Versuchsballon, den Cupertino hatte aufsteigen lassen, um herauszufinden, ob Meredith als Leiterin der technischen Abteilungen in Seattle akzeptiert werden würde. Das Problem war nur, daß Sanders dieses Porträt nie gelesen und daß niemand es ihm gegenüber je erwähnt hatte.
Der Artikel betonte das technische Wissen, das Johnson sich im Lauf der Jahre bei DigiCom erworben hatte, und zitierte sie mit folgenden Worten: »Meine berufliche Laufbahn nahm damals bei Novell ihren Anfang in technischen Bereichen. Meine erste Liebe galt dem technischen Bereich, und mein größter Wunsch wäre, dorthin zurückzukehren. Leistungsstarke Innovation ist schließlich das Herz eines zukunftsweisenden Unternehmens wie DigiCom. Jeder gute Manager in diesem Unternehmen muß in der Lage sein, technische Abteilungen zu leiten.«
Da war es.
Er sah auf das Datum: 2. Mai. Vor sechs Wochen erschienen. Und der Artikel war mindestens zwei Wochen zuvor verfaßt worden.
Mark Lewyn hatte es bereits geahnt: Meredith Johnson wußte schon seit mindestens zwei Monaten, daß sie die Leitung der Advanced Products Group übernehmen würde. Und das wi e derum bedeutete, daß Sanders für den Job als Abteilungsleiter nie in Betracht gekommen war. Er hatte von Anfang an keine Chance gehabt.
Es war von Anfang an beschlossene Sache gewesen. Schon seit Monaten.
Er fluchte, trug die Artikel zum Kopiergerät, kopierte sie, legte die Stapel ins Regal zurück und verließ die Pressestelle.
A ls Sanders den Aufzug betrat, stand Mark Lewyn darin. Sanders sagte: »Hi, Mark.« Lewyn antwortete nicht. Sanders drückte den Knopf neben dem Schild »Erdgeschoß«. Die Tür schloß sich.
»Ich hoffe nur, daß du weißt, was du tust, du Idiot«, sagte Lewyn wütend.
»Ich denke schon, daß ich das weiß.«
»Du könntest es nämlich uns allen vermasseln. Ist dir das klar?«
»Was könnte ich vermasseln?«
»Daß dein Kopf in der Schlinge steckt, ist wirklich nicht unser Problem!«
»Das hat auch niemand behauptet.«
»Ich weiß nicht, was mit dir los ist, Tom«, sagte Lewyn. »Du kommst zu spät zur Arbeit, du rufst mich nicht an, obwohl du es angekündigt hast … Was ist eigentlich los, hast du Zoff daheim? Stunk mit Susan?«
»Mit Susan hat das überhaupt nichts zu tun.«
»Ach, wirklich? Das sehe ich aber anders. Du bist zwei Tage hintereinander zu spät gekommen, und wenn du mal hier bist, schleichst du herum, als würdest du träumen. Trägst den Kopf in den Wolken, verdammt noch mal! Und überhaupt – was hattest du eigentlich abends in Meredith’ Büro zu suchen?«
»Sie bat mich, in ihr Büro zu kommen. Sie ist die Chefin. Willst du mir sagen, ich hätte nicht hingehen sollen?«
Lewyn schüttelte angewidert den Kopf. »Dieses Unschuld s gehabe ist eine einzige Scheiße, Tom. Übernimmst du eigentlich nie die Verantwortung für etwas?«
»Was fällt dir –«
»Paß mal auf, Tom! Jeder hier im Betrieb weiß, daß Meredith der reinste Hai ist. Die Männermordende – manche nennen sie so. Meredith, das männermordende Monster. Der große weiße Hai. Außerdem weiß jeder, daß Garvin sie protegiert und daß sie tun kann, was sie will. Und was sie will, das ist mit niedlichen kleinen Jungs rumspielen, die nach der Arbeit in ihrem Büro aufkreuzen. Sie trinkt ein paar Gläser Wein, wird ein bißchen rot im Gesicht, und dann will sie bedient werden. Ein Lieferjunge, ein Praktikant, ein süßer kleiner Buchhalter – völlig egal. Und niemand darf etwas dagegen sagen, weil Garvin glaubt, daß sie kein Wässerchen trüben kann. Also: Wie kommt es, daß alle anderen in der Firma darüber Bescheid wissen, nur du nicht?«
Sanders war so verblüfft, daß er nichts zu erwidern wußte. Er starrte Lewyn an, der, mit vorgebeugtem Oberkörper, die Hände in den Hosentaschen, ganz nahe bei ihm stand. Er spürte Lewyns Atem auf seinem Gesicht. Aber was er sagte, konnte er kaum verstehen. Es war, als käme es aus weiter Ferne.
»He, Tom! Du gehst die gleichen Gänge entlang und atmest die gleiche Luft wie wir anderen auch. Du weißt doch, wer hier was tut. Wenn du in ihr Büro hinaufstapfst, muß dir doch klar sein, was dich dort erwartet, verdammt noch mal! Meredith ist gerade noch davor
Weitere Kostenlose Bücher