Enthuellungen eines Familienvaters
„aber jede Regel hat ihre Ausnahme.“
„Zugegeben“, bestätigte die vortreffliche Dame, „trotzdem gibt es in diesem Haus keine freien Wohnungen. Wenigstens im Augenblick.“ Ich legte ein zweites Zwei-Lire-Stück neben die ersten zwei Lire. „Ich bin vollkommen im Bilde!“ rief ich aus. „Die Zukunft liegt in Gottes Hand. Immerhin halten Sie es nicht für ausgeschlossen, daß eine Wohnung in diesem Haus frei werden könnte.“
„Gewiß nicht“, sagte liebenswürdig die sympathische Funktionärin. „Ich halte es nicht für ausgeschlossen.“
Ich legte ein weiteres Zwei-Lire-Stück auf den Tisch. „Natürlich haben Sie sehr gute Gründe, wenn Sie das sagen“, bemerkte ich. „Sie sind nicht die Frau, die unüberlegte Worte ins Blaue redet.“ Gewiß nicht“, meinte die vortreffliche Dame und lächelte geschmeichelt. „Ich rede nicht in den Tag hinein. Wenn ich so spreche, so spreche ich so, weil ich weiß, was ich weiß. Meiner Meinung nach befinden sich zum Beispiel die Herrschaften vom vierten Stock in einer ganz bestimmten Situation.“
(Weiteres Geldstück.)
„Ich bewundere Ihren klaren Blick“, flüsterte ich. „Jedenfalls erlaube ich mir, Sie darauf hinzuweisen, daß wir, ich wie Sie, zwei ehrenhafte Leute sind. Ich gestehe Ihnen, daß die Situation der Herrschaften vom vierten Stock mein Interesse erregt.“
„Ich verstehe Sie“, seufzte die ausgezeichnete Person. „Das Studium der Menschheit bietet immer ein lebhaftes Interesse. Es geschieht also gewiß nicht aus Bosheit, sondern lediglich um der Wissenschaft willen, wenn ich Ihnen verrate, daß die Herrschaften für vier Quartale die Miete schuldig sind.“
„Haben Sie vielleicht eine Ahnung, welche Auslegung der Herr des Hauses geben könnte?“ drang ich weiter in sie.
„Meines Erachtens dürfte besagter Herr die Sache übel auslegen und nicht zaudern, seinen Anwalt zu bemühen“, betonte die schätzenswerte Dame.
(Weitere zwei Lire.)
„Wenn ich nicht Gefahr laufe, indiskret zu erscheinen...“, flüsterte ich, „ist das Ihre eigene Vermutung oder wissen Sie Genaueres?“
„Ich habe den Kündigungsbrief hier und werde ihn heute abend übergeben“, gestand die kluge Frau und zeigte mir einen geschlossenen Umschlag.
(Zwei Lire.)
„Ich danke Ihnen, Verehrteste“, murmelte ich. „Darf ich mir Ihre Erfahrung und Ihre Fachkenntnisse zunutze machen?“
„Gewiß.“
(Zwei Lire.)
„Wann könnte sich Ihrer Meinung nach, unter der Annahme von Umständen, die den geschilderten gleichen, ein Wohnungsaspirant einem Hausherrn mit der Bitte vorstellen, in seinem Haus als Mieter des vierten Stockes zugelassen zu werden?“
„Heute um 17 Uhr 30, C.-P.-Straße 14, dritter Stock, rechts.“
(Zwei Lire.)
„Ich bin Ihnen verbunden, Verehrteste.“
„Höflichkeit und Entgegenkommen sind mein Lebensinhalt“, erklärte die vortreffliche Person.
So kehrte ich denn um 19 Uhr 45 mit dem Mietvertrag in der Tasche ins Hotel zurück.
Margherita war mit dem Ergebnis meines Wirkens einverstanden. „Margherita“, fragte ich, „hast du die Reisetaschen und die Koffer in mein Zimmer stellen lassen oder in deines?“
„Giovannino“, antwortete Margherita mit ernster Miene, „halte dir vor Augen, daß ich eine Frau bin und keine Maschine. Und die Kräfte einer Frau sind begrenzt.“
Die süße Gefährtin meines bescheidenen Glückes sah mich an, und ihre schwarzen Augen sagten schmerzlich: „Giovannino, Giovannino...“
Aus dem Leben eines Kunden
Der ruhige Beamte hatte dreißig Jahre lang auf die wenigst abenteuerliche Weise gelebt, die man sich vorstellen kann: Büro, Heim, Café, Kino, Sommerfrische, neue Tapeten im Vorzimmer, Mantel chemisch gereinigt, Erneuerung des Rundfunkabonnements. Dann geht der Beamte in den Krieg und erlebt in einer einzigen Woche tausendmal mehr, als er in den vorausgegangenen dreißig Jahren erlebt hatte.
Ähnlich geht es dem stillen Giovannino aus der Provinz, der eines schönen Apriltages im Jahre 1935 unversehens nach Mailand gekommen ist. Kaum zwei Jahre sind seither vergangen, und der schüchterne Giovannino, der im vorausgegangenen Kapitel einfach ein unbekanntes, unbedeutendes Sandkorn im Wirbelwind gewesen ist, kann der Welt erklären: „Ich bin jemand!“
Ich bin Kunde! Ich bin Kunde der städtischen Verkehrsbetriebe, ich bin Kunde der Staatsbahnen, der Post-, Telegraphen- und Telephondirektion, ich bin Kunde der Gas- und Elektrizitätswerke, ich bin Kunde einer Wohnung, ich bin
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