Enthuellungen eines Familienvaters
Chefredakteur. »Schwach“, sagte der Chefredakteur und gab mir das Manuskript zurück. „So geht’s nicht. Mach das interessanter, bewegter!“
»Es ist schwierig, ein nachdenkliches Feuilleton bewegter zu machen.“
„Wer redet denn vom Feuilleton!“ rief der Chefredakteur. „Das Feuilleton interessiert mich nicht, ich habe es nicht einmal gelesen. Mich interessiert der Titel. Ich spreche einzig und allein vom Titel.“ Es handelte sich um eine Plauderei, die gerade aktuell war: sie erzählte von einem kleinen Knaben, der sich in seinem Bettchen herumwälzte und ungeduldig auf den Morgen wartete, um nachschauen zu können, was ihm die Befana 1 gebracht hatte. Und deshalb hatte ich die Überschrift „Der Strumpf unterm Kamin“ ganz natürlich gefunden. Allerdings war der Titel ein wenig schwach; und ich verstärkte ihn also: „Heute nacht schläft Gigetto nicht.“
„Besser“, sagte der Chefredakteur. „Aber wir haben’s noch nicht ganz; man muß das Interesse des Lesers wecken. Stachle seine Neugierde an!“
Für solche Zwecke ist die Frageform empfehlenswert; daher änderte ich die Überschrift ohne große Mühe: „Warum wacht Gigetto heute nacht?“
„Gut“, meinte der Chefredakteur. Aber dann dachte er nach und schüttelte den Kopf. Wenn man „Gigetto“ sagte, würden die Leute gleich begreifen, daß es sich um etwas Leichtes handle. Man muß ungewiß und mysteriös bleiben.
Ich hängte der Überschrift ein geheimnisvolles Mäntelchen um: „Einer wacht heute nacht.“
„Stinkt nach Literatur“, sagte der Chefredakteur. „Ändere den Stil, mach irgend was Reportagemäßiges, Realistisches — das ist modern. Blättere ein paar Nummern durch und passe dich dem Zeitungsstil an.“
Ich blätterte ein paar Nummern durch und versuchte mich anzupassen. Dann hatte ich drei neue Titel vorzuschlagen: „Schlafen oder nicht schlafen?“ — „Bam, bam, bam, schon drei Uhr, aber er ist hartnäckig!“ — „Und er wartet und wartet, aber die verdammte Sonne geht nicht auf!“
„Die Leute lieben die starken Sachen“, sagte der Chefredakteur; man müsse übertreiben, aber nicht witzeln. „Dramatisieren, nicht ironisieren!“
Ich dramatisierte und bekam fünf interessante Titel heraus: „Was geschieht im Nebenzimmer?“ — „Hört man Schritte im Dunkel?“ — „Wer ist die geheimnisvolle Alte, die in der Nacht herumstreicht?“ — „Die nächtliche Alte.“ — „Nächtliches Zwischenspiel mit einer alten Dame.“
„Jetzt haut’s hin!“ rief der Chefredakteur. „Setze alles auf die Alte; Alte ziehen immer im Lokalteil!“
Nun machte er sich selbst an die Arbeit und las mir schließlich das Ergebnis vor: „Eine Alte schreit in der Nacht!“ — „777, Achtung! Greisin schreit in der Pacini-Straße!“ — „Zu Hilfe, man erwürgt die Alte im fünften Stock!“ — „Hilfe! Sie schlitzen der Alten den Bauch auf, und das Blut fließt rot über die Treppen und dampft wie Punsch!“
Er stellte fest, daß der letzte der beste sei, und fragte mich, ob er mir gefalle.
„Sehr“, antwortete ich, „aber in meinem Feuilleton ist von keinem Verbrechen die Rede, sondern von einem Kind, das sich in Erwartung der Befana im Bett herumwälzt.“
„Ausgezeichnet!“ rief der Chefredakteur. „Das Kind wacht in Erwartung der Befana — da hört es plötzlich einen Schrei: im Nebenhaus haben sie eine Alte erwürgt — und das Kind glaubt nun, es handle sich um die alte Befana, weint verzweifelt und verbirgt das Gesicht im Kopfkissen. Das änderst du in zehn Minuten, und dann schau, daß du auch noch einen packenden Schluß findest.“
„Und die erwürgte Alte? Soll ich ein Verbrechen erfinden?“
„Wozu erfinden? Du mußt ja den Ort nicht genau angeben; abwarten, ob heute nacht in Mailand eine Alte erwürgt wird oder nicht!“
Tatsächlich wurde in dieser Nacht eine Alte erwürgt; und wirklich hörte auch irgendein Gigino ihren Schrei und dachte, man habe die Befana ermordet. Doch diese Methode der vorwegnehmenden Berichterstattung sagt mir nicht zu. Zu meiner Zeit ließ man eine Tat erst geschehen und berichtete nachher über sie. Und man ließ nicht zu, daß einer schönen Überschrift zuliebe alte Frauen erwürgt wurden.
Die lieben Verwandten
Mein Onkel Josua ist einer jener Menschen, die nachdenklich geboren werden. Eines Tages im Jahre 1916 las er gerade einen Roman, als Enrichetta, seine Gattin, ihm sagte, es sei die Nachricht gekommen, daß er sich sofort auf dem
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