Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enthuellungen eines Familienvaters

Enthuellungen eines Familienvaters

Titel: Enthuellungen eines Familienvaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovannino Guareschi
Vom Netzwerk:
Giuseppina.
    „Margherita, sei ruhig und antworte mir: warum bist du nicht hier hereingekommen, statt zu Frau Giuseppina zu gehen?“
    Margherita seufzte.
    „Du bist nie Mutter gewesen, Giovannino, und kannst nicht begreifen, was im Herzen einer Mutter vorgeht, wenn sie ihre Kinder nicht mehr findet. Zwanzig Minuten lang bin ich von einem Automaten zum anderen gerannt, und keiner war frei! Warum sollte ich zuerst zu dir kommen und nicht zu Frau Giuseppina gehen, die für mich eine Möglichkeit darstellte, dich anzurufen? Giovannino, in solchen Fällen muß sich die Frau für die Mutter opfern, und der Gatte muß hinter dem Vater zurückstehen!“
    „Schön, Margherita. Aber wenn du weggehst, halte dir vor Augen, daß die Mutter deiner Kinder in der Wohnung gegenüber wohnt.“
    „Das sind Dinge, die man nicht vergessen kann“, seufzte sie. „Der Mutterinstinkt ist stärker als alles andere auf der Welt.“
    Das entsprach nicht der Wirklichkeit, denn das Stärkste auf der Welt war die Henne aus Voghera, die den Korb durch Schnabelhiebe zerstört hatte und den vereinten Kräften Albertinos und Carlottas erfolgreich die Stirn bot. Es sah aus wie die Schlacht bei Legnano.
    Ich legte den Hörer wieder auf.
    Nach etwa einer halben Stunde kam die vierte und letzte Welle von Margheritas Heimkehr.
    Margherita trat ein. Man sah, daß ihre Seele erschöpft war.
    „Hast du meinen Brief bekommen, in dem ich dir meine Heimkehr ankündigte?“ fragte sie.
    „Nein, Margherita. Bist jetzt sind angekommen: ein Gepäckträger, eine Reisetasche, eine Tochter, ein Sohn mit Motorradfahrerbrille, eine Henne, zwei Telefonanrufe. Und nun bist du angekommen. Dafür ist die Henne am Ausreißen.“
    Tatsächlich war es der Henne gelungen, eine Fensterscheibe in meinem Arbeitszimmer zu zerschlagen und sich dem Zugriff der Gegner zu entziehen. Wir sahen, wie sie sich hinausstürzte und hinunterflog, wir hörten den betäubenden Lärm eines Lastzuges, der an unserem Haus vorüberfuhr, und traten ans Fenster. Und wir sahen die Henne mit gespreizten Beinen zuoberst auf die Ladung des Autos hingepflanzt. Während sie sich schnell entfernte, schaute sie uns stolz an.
    „Auch sie wählte die Freiheit wie Scerbanenko“, bemerkte Margherita. „Kravtschenko“, sagte ich. „Scerbanenko ist ein Schriftsteller, mit dem ich befreundet bin.“ — „Die Freundschaft zählt nicht in der Diplomatie“, behauptete Margherita. „Wie steht es hier in Mailand mit Berlin?“
    „Ein Teil der Leute glaubt, daß Rußland die Welt in einen Krieg stürzen wird, der andere Teil hingegen glaubt, daß Amerika die Welt in einen Krieg stürzen wird.“
    „Um so besser“, bemerkte Margherita. „Mir scheint, hier waltet ein tröstliches Gleichgewicht der Kräfte. Die Kriege brechen nur aus, wenn die Waage sich ganz auf eine Seite neigt und der eine von den beiden sich bewaffnet und der andere nicht.“
    Doch nun wurde die Stimme leise, und ihr Blick streifte durch unendliche Räume. „Der Brief, mit dem ich dir meine Rückkehr ankündigte, ist also nicht angekommen?“ fragte sie.
    „Nein, Margherita.“
    „Du konntest also nichts von dem vorbereiten, worum ich dich bat?“
    „Nein, Margherita. Worum batest du mich?“
    „Ich weiß es nicht. Mein ,Ich’ von Garessio ist ein anderes als mein ,Ich’ von Mailand. Jeder von uns hat zwei Ichs in sich...“
    Als sie so weit gekommen war, das Ich in den Plural zu setzen, empfand sie glücklicherweise Verlangen nach einer Zigarette. Und als sie in ihrem Täschchen kramte, ließ sie ein zugeklebtes Kuvert fallen, das ich aufhob und ihr hinhielt. „Angesichts der Tatsache, daß es ein frankiertes, geschlossenes Kuvert mit meiner Adresse ist, kommt mir der Gedanke, es könnte der Brief sein, den du einzuwerfen vergessen hast.“
    Margherita schaute den Brief an. Er war es.
    „Öffnen wir ihn; so können wir erfahren, worum mich dein Ich von Garessio gebeten hat.“
    Margherita schüttelte den Kopf, zerriß den Brief in Fetzen und warf die Fetzen müde zum Fenster hinaus. Der Wind wirbelte sie in die graue Luft des Herbstabends.
    „Er ist nicht mehr von Bedeutung“, seufzte sie.
    In einem Winkel kauerte Albertino, noch immer eingemummt, die Baskenmütze bis zu den Ohren und die Motorradfahrerbrille vor den Augen, und las gierig das letzte Abenteuer von Gim Toro. Margherita rauchte, an ein Fensterkreuz gelehnt, und blickte in den Herbstabend hinaus. An das andere Fensterkreuz gelehnt, verfolgte ich das Flattern

Weitere Kostenlose Bücher